Die Ueberlebenden von Mogadischu
Beispiel Therapiekosten ersetzt. Ich weiß, der Begriff des Opfers ist auch bei den Opfern selbst umstritten: »Ich will nicht immer Opfer sein, ich bin kein Opfer mehr.« Für uns ist »Opfer« eine Metapher für die Aspekte der Persönlichkeit, in denen der Mensch gelitten hat, als er den grausamen Geschehnissen einfach ausgesetzt war. Das ist ja keine Identitätszuschreibung, man bleibt ja nicht sein Leben lang immerzu nur Opfer. Aber für uns ist wichtig, dass wir die Dinge beim Namen nennen. Wo ein Mensch sozusagen in einer Täter-Opfer-Dualität gewesen ist und die Seite des Opfers eingenommen hat, gibt 195 es Erfahrungsqualität, die Opferqualität ist. Das muss man auch, finde ich, wahrnehmen. Viele sprechen von Überlebenden, Betroffenen usw. Das sind auch schon Begriffe, die etwas sehr Spezifisches betonen: Ich bin weg davon.
Ich verwende diese Begriffe auch, um nicht immer »Opfer« schreiben zu müssen. Ich schreibe zum Beispiel »Überlebende«, »Betroffene«, »Geiseln«.
Ja, genau, das mache ich auch. Es ist auch wichtig, dass man mit Respekt vorgeht und spricht, weil manche eben, wie gesagt, das Wort Opfer selber gar nicht leiden können. Das kann ich auch gut verstehen. Ich glaube, das können wir alle gut verstehen. Ich würde auch nicht, wenn ich irgendetwas Schlimmes erlebt habe, immer nur als Opfer angesprochen werden wollen.
Ein Mann, der in der entführten »Landshut« war, sagte im Fernsehen: Ich bin ein Opfer, und ich bleibe es bis zum Ende meines Lebens.
In einem Teil meines Wesens, hätte er vermutlich hinzufügen können.
Oder eine andere ehemalige Geisel sagte, in ihrer Stammkneipe gebe es eine Art Hall of Fame, einen »Sterne-Weg« wie in Hollywood, und dort hätte sie auch gern einen Stern.
Ja, aber das könnte dann auch ein Stern sein, der das Überleben dieses Infernos betont, den Überlebenden-Aspekt. [. . . ] Manchmal gibt es eine ganz einfache innere Rettungsaktion, die gehört zur Trauma-Therapie, dass wir sagen, gehe mal als heutiger erwachsener Mensch mit Boden unter den Füßen, hole dir innere Helfer herbei oder stell dir deine besten Freunde vor, die dir helfen, und dann gehst du in die Maschine und holst den Teil von dir heraus, der da noch immer ist. Das zum Beispiel ist eine der Interventionen aus der Trauma-Therapie, wo man sich, mit Zittern und Zagen zwar, aber doch mit allem zusammengekratzten Mut, mit der damaligen Situation noch einmal vorsichtig konfrontiert und den »Opfer-Anteil« herausholt; und zwar gehen sie als Erwachsene hin mit all dem Schutz, den sie dann vielleicht haben, gewappnet, 196 vielleicht brauchen sie – wenn sie an den infernalischen Gestank im Flugzeug denken – dazu mental eine Nasenklemme etc. Dann holen sie den Teil von sich heraus, der immer noch »wie dort ist«. Denn in einer traumatischen Situation gibt es Momente, vielleicht sogar viele, die Zustände oder Anteile der Persönlichkeit geworden sind, die da noch sozusagen sind, in den unerträglichen Momenten eingefroren, in diesen vielen Schreckensmomenten, die sie im Laufe der Zeit der Geiselhaft erlebt haben. Vielleicht sind das alles Einzelspots und müssen dann vielleicht auch einzeln bearbeitet werden, eine Geruchsintrusion zum Beispiel oder ein akustisches Entsetzen wie die Momente, als der Pilot Jürgen Schumann nach dem Schuss leblos zusammensackte, oder der Moment, als die Leiche von Jürgen Schumann aus dem Garderobenschrank, in den man sie gestellt hatte, herausgefallen ist. Das waren für viele Geiseln ganz besonders furchtbare Momente. Ich bin ganz sicher, dass das Momente sind, die bei ganz vielen jederzeit wieder eine Schreckreaktion, eine sogenannte Startle Response, auslösen können: Da hört man irgendwo einen Plopp, und plötzlich hat man das wieder, dieses Verhärten der Muskeln, diesen Schweißausbruch, das Herzrasen, das Dunkelwerden vor den Augen. Wenn das quälend andauert, nicht selten jahrzehntelang, bieten wir Trauma-Therapeuten den Menschen an, diese Entsetzensmomente besser zu verarbeiten. Wir haben auch Methoden wie das sogenannte EMDR [Eye Movement Desensitization and Reprocessing, dt.: Augenbewegungs-Desensibilisierung und -Wiederaufarbeitung; Anm. d. Verf.], mit denen wir die Verarbeitung neuronal befördern, damit das Gehirn dieses Element in die biographischen Gedächtnisstrukturen einwebt, statt dass es ein immer wieder plötzlich auftretendes namenloses Entsetzen ist. Wir reden nicht nur, wir verwenden heute noch viele andere therapeutische
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