Die Ueberlebenden von Mogadischu
dauernden Entführung.
Woran zeigt sich danach eine posttraumatische Belastungsstörung? In einer deutlichen Vermeidung von Dingen, die mit dem 192 Trauma in Zusammenhang stehen – viele »Landshut«-Opfer sind nach dem Oktober 1977 lange nicht mehr geflogen. Für einige war später schon der Aufenthalt in einer Menschenmenge, etwa in einem Kaufhaus, zu viel. Weiter diagnostizieren Psychologen und Mediziner ein Abflachen der Gefühlswelt, eine tranceartige, häufig gleichgültige Haltung zur Wirklichkeit. Viele »Landshut«-Opfer haben in den ersten Wochen und Monaten sehr geduldig sehr viel über sich ergehen lassen, seien es Verhöre bei Polizei und Bundeskriminalamt oder Interviews mit Journalisten. Ein weiteres Merkmal ist ein erhöhtes körperliches Erregungsniveau: Betroffene reagieren rasch gereizt, unwirsch, und machen es damit Angehörigen und Freunden in ihrer Umgebung nicht gerade leichter.
Eine Traumatisierung kann die grundlegenden Überzeugungen und Erwartungen einer Person erschüttern und negativ verändern. Opfer einer posttraumatischen Belastungsstörung empfinden sich zum Beispiel persönlich nicht mehr sicher auf der Welt, das Leben hat keine Bedeutung und keinen Sinn mehr, sie glauben, ihr eigenes Leben nicht mehr kontrollieren zu können. Die Welt erscheint als ungerecht, schlecht und gefährlich, weshalb man ständig auf der Hut sein muss.
Längst befasst sich auch die Hirnforschung mit dem Phänomen der posttraumatischen Belastungsstörung. Sie versucht herauszufinden, ob traumatische Ereignisse biochemische Veränderungen im Gehirn bewirken. Ein Opfer könnte möglicherweise nach einem erlebten Trauma geradezu reflexartig bestimmte Reaktionen zeigen. Ob und wie heftig jemand erkrankt, hängt aber auch von äußeren Faktoren ab. Wie reagieren wichtige Bezugspersonen auf die betroffene Frau oder den betroffenen Mann, also Angehörige, Freunde, Kollegen am Arbeitsplatz?
Der entscheidende Faktor für die Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung ist aber nicht die »von außen« registrierte Schwere eines Traumas, sondern die schon oben erwähnte persönliche, individuelle Einordnung der traumatischen Situation durch die oder den Betroffenen.
193 Heute steht außer Zweifel, dass eine posttraumatische Belastungssituation sofort nach dem Erkennen der Merkmale zu behandeln ist. Im besten Fall werden auch die Angehörigen der oder des Betroffenen beraten, denn sie sind auf die Krankheit der Partnerin oder des Partners, der Mutter oder des Vaters nicht vorbereitet. Es gibt heute eine Reihe anerkannter Verfahren zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Beispielsweise kann eine sogenannte traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie sinnvoll sein. Diese Therapie konfrontiert den Betroffenen einerseits mit dem erlebten Trauma (etwa indem man an den Ort, an dem das Trauma passiert ist, zurückgeht), zum anderen werden die Folgen dieser Konfrontation gemeinsam und konstruktiv bearbeitet. Zu Beginn werden Betroffene mit dem Trauma noch einmal konfrontiert. Im zweiten Schritt soll sich ihre Sicht auf die Dinge im Gespräch mit dem Therapeuten ändern. Danach geht es um eine »Integration« des Ereignisses in das aktuelle Leben.
194 Begnüge dich nicht
Ein Gespräch mit Michaela Huber
Michaela Huber ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumabehandlung. Seit 1989 ist sie in Kassel als Psychotherapeutin niedergelassen. 1995 bis 2011 war sie 1. Vorsitzende der deutschen Sektion der International Society for the Study of Dissociation ( ISSD e. V.), 2011 unbenannt in Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation ( DGTD ). Sie legte zahlreiche Publikationen zur Traumaforschung vor.
Sie wenden den Begriff des Opfers auch auf Überlebende an. Ich habe bei meinen Recherchen festgestellt: Ende der siebziger Jahre, 1977, galten als Opfer nur Tote.
Genau.
Für diesen Fall gab es Gesetze, die den Versorgungsfall der Hinterbliebenen regelten. Aber für die Hinterbliebenen ihrerselbst, etwa die befreiten Geiseln aus der »Landshut«, die ja auch Opfer waren, gab es keine Regeln und schon gar keine Gesetze.
Heute gibt es das Opferentschädigungsgesetz. Da werden die Menschen tatsächlich als Opfer von Gewalt, auch als langfristige Opfer von Gewalt, bezeichnet und entschädigt. »Entschädigt« ist ein komischer Begriff, es gibt eine gewisse Kompensation in Form von Rente oder es werden zum
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