Die Ueberlebenden von Mogadischu
Duisburg – sind die Trauma-Opfer alle in Betreuung ?
199 Nicht alle, nein. Manche wollen auch nicht. Wir können und sollten die Leute auf gar keinen Fall zu irgendetwas zwingen. Was ich aber wichtig finde, ist, ihnen hinterher Hilfe anzubieten, telefonisch zum Beispiel oder brieflich, und zu sagen, wir sind da. Wenn Sie einen Bedarf haben, wenn es etwas gibt, das Sie noch beschäftigt, wir sind für Sie da. Und dass man den Leuten Informationen gibt, falls sie Symptome an sich bemerken, die sie ungewöhnlich finden. Man darf den Leuten dabei nichts suggerieren, denn die Hypochonder haben dann alles. Aber es sollte doch so sein, dass man den Leuten ein Gefühl dafür gibt, okay, ich kann mich auch mal innerlich scannen: Gibt es irgendetwas Ungewöhnliches, finde ich irgendetwas bizarr an mir, fange ich an, schlecht zu schlafen, wie lange ist das mit den Albträumen normal? Psychoedukation nennen wir das. Sechs, acht Wochen ist jede noch so bizarre Reaktion erst einmal normal, ja bis drei Monate nach der ersten Entfernung von dem Ereignis sind ganz viele Dinge ganz normal: Angst, Trauer, Verzweiflung, Ärger, Wutanfälle, Streit mit den Angehörigen – alles völlig normal. Das muss man den Leuten sagen, dann beruhigt sie das schon. Genauso wie man in manchen Kulturen sagen muss, wenn sich die Kehle zusammenzieht und sie viel Schleim produzieren: »Sie kriegen nur eine Erkältung, das geht vorbei«, wenn sie das noch nie kannten. Man muss besonders auf die Leute achten, die nach etwa drei Monaten nicht klargekommen sind, und die paar, die am Anfang extrem auffällig sind. Die werden mit so einem normalen »Ich kriege das schon hin« nicht alleine klarkommen. Da müssen wir uns einfach ein bisschen anbieten nach dem Motto, überlegen Sie mal, ob wir Sie einfach eine Zeit lang stärken und unterstützen sollten. Aber wir müssen immer respektieren, was die Leute selber tun. Manche werden dabei bleiben, dass sie sagen, ich lebe mit diesen ganzen Folgen, aber ich will nie wieder darüber reden. Wir können die Leute nicht zwingen, aber Angebote sollen sie kriegen, dann können sie wenigstens eine Wahl haben – und die hatten sie nicht, als das Inferno passierte.
Und das ist, glaube ich, der Unterschied zu früher.
200 Man muss längerfristige Angebote vorhalten. Sechs Wochen bis drei Monate ist eine kritische Phase, da haben viele die Symptome. Aber auch danach sollte man schauen: Wie geht es Ihnen? Gibt es irgendetwas, was Sie merkwürdig, unangenehm oder so etwas finden, wo Sie den Eindruck haben, es könnte damit zu tun haben? Sie können mit uns sprechen. Das Wichtige ist, es gibt eine Scham, es gibt eine Abwehr, es gibt danach auch im Alltags-Ich eine Phobie, sich mit dem Drama zu beschäftigen. Da ist es gut, wenn wir sie immer wieder einladen, wenn auch der Hausarzt informiert ist, wenn rundherum ein bisschen klarer wird, es gibt eine Kultur des Sorgfältig-damit-Umgehens. Das heißt, wir schauen noch einmal genauer hin ...
Der Zuspruch ist wichtig. Er hat damals wohl gefehlt.
Ja, diese Sorgfalt.
Und das ist heute anders ? Gibt es heute eine andere Kultur des Sorgens, der Fürsorge ?
Ja, Gott sei Dank. Wie gesagt, uns Fachleuten ist es immer noch nicht genug, aber es hat sich da tatsächlich gesellschaftlich enorm viel getan bis hin zum Opferentschädigungsgesetz und den Folgen. Man ist aufmerksamer geworden dafür, dass es sein kann, dass man Leid schlecht verarbeitet. Das finde ich gut, das ist ein ganz gutes Zeichen für eine Gesellschaft, wenn sie mitfühlender ist. Ein extrem positives Beispiel ist Norwegen nach dem Breivik-Attentat. Ich fürchte, eine solche kollektive Reaktion hätten die Deutschen nicht zustande gebracht, aufgrund ihrer eigenen Geschichte. Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass die Deutschen Täter und Opfer waren im Krieg, aber auch sehr viele eben Täter und Mittäter. Da gibt es noch so viel Unaufgeräumtes, keine Kultur, die sich so genau hinschauend, mitfühlend als Gesellschaft hinzustellen und zu sagen wagt, wir gehen an die Seite der Betroffenen, wir lassen sie nicht im Stich, wir trauern und weinen auch öffentlich, wir erobern uns diese Insel zurück. Dieser Täter soll unsere Aufmerksamkeit nicht bannen, er ist uns zu blöd, das ist ein Verbrecher, aber der kriegt kein Podium. Wir starren nicht auf ihn und 201 fragen, wie konnte der das nur tun, wie es häufig hier in Deutschland der Fall ist. Wir erliegen hier oft der Faszination für den Täter, und
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