Die Ueberlebenden von Mogadischu
Methoden, mit denen wir den Menschen behilflich sind, das ehemals Erlebte mit ihrem heutigen Bewusstsein zu verschränken, so dass es für sie im Nachhinein betrachtet eine Belastungserfahrung wird und nicht mehr ein zerstörerisches und nicht zu verwindendes 197 Trauma. Natürlich wird man als Überlebender immer jemand sein, der eine extrem belastende Erfahrung gemacht hat.
Ist es dann eine herabgestufte Form ?
Ja, genau. Wenn es eine posttraumatische Belastungsstörung gibt, dann gibt es immer noch dieses Intrusive, das Überraschende, in die Gegenwart Hineinreichende an tiefem Entsetzen, das die Leute immer noch plagt und quält, und die Folge ist, sie müssen es sich die ganze Zeit vom Hals halten, sie müssen die ganze Zeit viel Aufwand treiben mit der Vermeidung, dem Aufwand, dass sie da nicht hingucken, nicht hingehen, nichts damit zu tun haben wollen, dass sie Alkohol trinken, damit sie es nicht nachts wiedererleben, oder, oder. Solange das noch so ist, sagen wir den Leuten heute immer: Begnüge dich nicht, begnüge dich einfach nicht. Du musst nicht mit dem, was du immer noch – wieder und wieder – erlebst, und was du dir immer wieder vom Hals halten musst, einfach so weiterleben. Das würden wir heute sagen. Wir würden sagen, Boden unter die Füße und los, Stückchen für Stückchen verarbeiten von dem Mist. Das hilft nämlich sehr. Aber du musst es strukturiert machen und nicht einfach nur reden und erzählen und erzählen, das hilft nicht genug, jedenfalls meistens nicht.
Es gibt ja auch zwei Dissertationen aus dieser Arbeit. Zwei sehr unterschiedliche. Sie haben mir auch einen Artikel gemailt.
Das sind Versuche gewesen, dann auch zu beschreiben, wie die Reaktionsweisen der Opfer typischerweise sind, also die Geiseln als Forschungsobjekte zu sehen. Aber wichtig für uns als Therapeuten ist, dass wir sie individuell begleiten auf ihrem Weg der Verarbeitung. Man ist davon weggegangen, was damals offenbar auch versucht wurde: eine Art Debriefing zu machen für die Opfer, d.h., alle kriegen dasselbe Treatment und sollen nach einem Ereignis sagen, was sie erlebt haben, und sogar möglichst detailliert beschreiben, was davon sie am meisten belastet hat. Das aber triggert, wie wir heute sagen, zu sehr: Es löst erst einmal die Schrecken wieder aus; dabei versucht das Gehirn doch gerade, sie irgendwohin zu verschieben, damit sie demnächst möglichst verdaut 198 werden können. Die Leute reagieren nach solchen Ereignissen sehr verschieden. Der eine reagiert erst mal so, dass er sagt, lass mich bloß in Ruhe, und das kann ein sehr guter Instinkt sein. Erst einmal zur Ruhe kommen, Boden unter die Füße, wieder funktionieren, morgen zur Arbeit gehen. Für die anderen ist es so, dass sie zum Ausdruck bringen, ich bin wie im Nebel, ich kann jetzt nicht auch noch und will auch gar nicht dahin gucken, ich muss erst mal gucken, gibt es überhaupt noch irgendetwas anderes für mich, ich muss erst mal Urlaub machen, ich muss mal ausschlafen, solche Dinge. Die dritte Person sagt, ich muss reden, reden, reden.
Diese große Bandbreite habe ich auch erlebt. Da gab es ja alles.
Ja, genau. Und es ist wichtig, dass wir die Leute individuell sehen, dass wir dann die Verarbeitungsmodi, die sie selber haben, unterstützen, indem wir sie intensiv ressourcenorientiert begleiten, wobei wir durchaus auch verstehen und unterstützen, dass sie sich vom Ereignis erst einmal distanzieren wollen. Dabei werden wir für sie eine ruhige Atmosphäre schaffen und immer wieder den Unterschied betonen: Das war dort, das ist jetzt wie lange her? Das ist drei Wochen her. Können Sie realisieren, dass die Zeit vergangen ist, was ist heute anders? Okay, dann gehen Sie mal wieder ein bisschen weg von dem Früher. Oder, wenn Sie es immerzu vor sich sehen: Können Sie das Bild auf einen – imaginären – Bildschirm dort drüben an der Wand projizieren, und dabei wird es sofort kleiner, so dass sie es irgendwo nach rechts oben laufen lassen das Bild, bis es nur noch wie ein Stecknadelkopf groß ist? Pflücken Sie es dann weg, tun Sie es in ein Kästchen, das Kästchen kommt in einen Tresor, den Sie sich jetzt vorstellen. Das betonen wir so, damit sie überhaupt eine Chance kriegen zu wissen, okay, jetzt bin ich wieder da, wieder hier in der Gegenwart. Jede individuelle Sichtweise versuchen wir so zu befördern, dass wir die Leute stabilisieren und dann die Verarbeitung anregen.
Wenn Sie so einen Fall haben wie die »Love Parade« in
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