Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
Vom Netzwerk:
die Opfer werden ganz schnell aus dem Blick genommen.
    Das ist ein interessanter Aspekt, auf den ich bei meinen Recherchen oft gestoßen bin: Das Interesse an Baader & Co. ist bis heute ungebrochen. Das Interesse an einer Motivforschung: Wie konnte eine Gudrun Ensslin so werden, wie sie wurde, so voller Menschenverachtung ?
    Ja, das fasziniert die Menschen.
    Und für die Opfer interessiert man sich nicht.
    Ja, genau.
    Weil die Opfer schnell wehleidig, memmenhaft wirken. Das wirkt nicht so schneidig, das kann auch ein Journalist nicht so zuspitzen.
    Und viele Opfer wollen auch nicht mehr reden, oder sie kompensieren. Das erlebe ich auch bei Opfern extremer Gewalt, Kinderporno und so etwas, wie die dann groß werden und was sie dann für riesige Probleme kriegen. Die Opfer selber sind häufig sehr vorsichtig, überhaupt mit Journalisten Kontakt zu haben, reden nicht gerne darüber, brechen immer wieder zusammen usw. Das ist ganz schön schwierig. Ich verstehe Journalisten, dass die dann eine Faszination für die Täter entwickeln und lieber dorthin schauen.
    Das ist auch einfacher.
    Und weniger Mitgefühl haben. Man muss weniger fühlen: Das da hätte mich auch treffen können. Meine Güte, und was wäre, wenn ich in einer solchen Situation wäre. Nicht weggucken und nicht sagen, mir wäre das nicht passiert, oder: ich hätte da anders reagiert, oder die anderen wegschieben. Das ist auch so ein Instinkt, das gibt es auch im Tierreich. Bei manchen Tierarten wird sozusagen ein Opfertier, das langfristig leidet, von der Gruppe ausgestoßen; andere kümmern sich als Gruppe sorgsam um das leidende Mitgeschöpf. Das gibt es bei uns auch. Wir müssen als 202 Gesellschaft immer wieder dem Wegschauen entgegenwirken und sagen, nein, das dürfen wir nicht tun. Das ist eine schwierige Situation, dass wir hinschauen müssen und dass wir immer wieder Mitgefühl aufbringen, dass wir immer wieder Menschen die Hand reichen müssen, egal wie es ihnen geht, auch wenn sie aggressiv werden nach einem erlebten Desaster. Es gibt ja auch Aspekte in den Überlebenden von Gewalt, in denen sie sich dann später wie die Täter fühlen und manchmal auch so benehmen; dabei haben sie das Ganze doch vorher als Opfer erlebt und erlitten. Das ist ein Spezialgebiet von mir: Wie kann die Widerspiegelung des Täters im Inneren des Opfers dazu führen, dass es sich fühlt oder benimmt wie ein Täter hinterher, obwohl es doch weiß auf einer anderen Ebene seines Wesens, wie furchtbar das war, dem ausgesetzt gewesen zu sein.
    Können Sie mir ein Beispiel geben ? Ich kann mir das nicht vorstellen.
    Ein ganz banales Beispiel: Wie viele Eltern schreien ihre Kinder plötzlich an: »Stell dich nicht so an!« und haben die Hand schon erhoben und denken dann hoffentlich noch, ach du lieber Gott, das wollte ich nie sagen, und: ich will mein Kind doch nicht schlagen. Das ist ein ganz banales Alltagsbeispiel, wo das, was man sich selbst gegenüber als schärfste Waffe erlebt hat, zur eigenen Waffe wird, die man ergreift. Dann fühlt man auch die Macht, plötzlich weiß man, wie mächtig man sich als Täter fühlt. Wir sprechen hier von struktureller Dissoziation, das heißt, das Gehirn teilt die Erfahrung auf. Und auf einer Ebene – vermutlich über die sogenannten Spiegelneurone – nimmt man den Täter nach innen, und zwar nicht nur, wie der ausgesehen hat, sondern wie der getickt hat, also wie er fühlte und dachte und welche Handlungsimpulse er hatte. Das ist eine oft missachtete Ebene bei Überlebenden, gerade bei Kindern, die schlimm misshandelt worden sind. Wenn wir nicht wollen, dass die das dann wiederum mit ihren Kindern machen, was ihnen angetan wurde, dann müssen wir mit ihnen so arbeiten, dass wir auch die dunkle, böse Seite, die Stimme, die das immer 203 wiederholt, was der Täter für Ansichten vertrat, einbeziehen in die Arbeit. Die meisten Opfer spüren das Täterintrojekt – oder freundlicher formuliert, den täterimitierenden inneren Anteil – später als Selbsthass und Selbstzerstörungsdrang; aber nicht wenige richten die erfahrenen selbstzerstörerischen Impulse auch ihrerseits gegen Schwächere. Das müssen wir in die Therapien reinholen, weil einem Opfer, sich so zu fühlen und so zu denken, vielleicht auch so zu handeln wie der größte Feind, den man je hatte, und das ist ja sehr beschämend für das frühere Opfer, und sehr erschreckend; daher erzählen sie es oft nicht spontan ihren Therapeuten, auch weil sie selbst eine Phobie vor

Weitere Kostenlose Bücher