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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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bedingte Schlafstörungen, Herz- und Magenbeschwerden als Gründe für eine weitgehende Minderung der Erwerbsfähigkeit. Matthias Rath wird rückwirkend vom 1.   Juli 1978 die Zahlung einer Rente zugesprochen. Das Landesversorgungsamt hatte Matthias Rath ursprünglich eine Minderung von 70 Prozent bescheinigt ( 30  Prozent bestanden schon wegen einer Verletzung aus dem Zweiten Weltkrieg), diese aber nach einem halben Jahr auf 50  Prozent herabgestuft. Gegen diese Herabstufung legte Matthias Rath Widerspruch ein. Das Sozialgericht in Münster stellt in letzter Instanz fest, das Befinden von Matthias Rath hänge eindeutig mit dem Entführungserlebnis zusammen und erlaube ihm nicht mehr, seinen bisherigen Beruf auszuüben. »Ein Nachlassen der durch die Geiselnahme entstandenen Beschwerden konnte nicht festgestellt werden«, heißt es in der Urteilsbegründung, »auch kann von einer Tendenz zur Rückbildung der Beschwerden wegen des fortgeschrittenen Alters des Klägers nicht ausgegangen werden.«
      211 Das Gerichtsurteil bedeutet eine Art materieller Wiedergutmachung, doch die Seele von Matthias Rath leidet weiter. Es geht ihm nicht in den Kopf, dass »die da oben« geradezu feudal leben und dabei die Opfer von Mogadischu in ihrem Leid und ihren Bedürfnissen ignorieren.
    Im Nachlass von Matthias Rath befinden sich Zeitungsartikel über einen Minister, der noch in den letzten Tagen seines Ministeramtes teures Panzerglas für sein Haus erhalten hat. Oder ein Artikel darüber, dass die Ausgaben für die Düsseldorfer Parlamentarier nochmals kräftig steigen würden. Oder ein Artikel über die »Haushaltskasse« von Altbundespräsident Walter Scheel, der finanziell viel großzügiger ausgestattet wird als seine Vorgänger. Matthias Rath findet, dass hier im deutschen Staat etwas falsch läuft. Er glaubt es am eigenen Leib zu spüren.
    Als Terroristen im April 1988 einen Jumbo-Jet der Kuwait-Airlines mit 115 Passagieren an Bord entführen, um 17 schiitische Häftlinge in Kuwait freizupressen, wird Matthias Rath gleich mehrfach wieder vor die Kamera gebeten. In einem Fernsehgespräch sagt er, »die Langzeitauswirkung ist immer ein Rest von Angst, die sich immer wieder dann steigert, wenn Ereignisse wie dieses auftreten. Man hat Angst, nachts träumt man schlecht, man hat Albträume, man hat Angst, in Räume zu gehen, die man nicht übersehen kann, wenn man nicht erkennen kann, welche Leute sich darin aufhalten.«
    Die Befreiung empfand er zunächst als glücklich und später als schmerzhaft, wie er jetzt bekennt: »Ich konnte die Umwelt nicht mehr ertragen. Ich wurde aggressiv, ich wurde böse.« Vorher sei er von Berufs wegen immer auf Ausgleich bedacht gewesen, »aber das hat mich völlig aus der Fassung gebracht«.
    Bei einer anderen Geisel verläuft eine analoge Entwicklung wie bei Matthias Rath. Unter dem Eindruck der »Landshut«-Entführung misslingt der Sechzehnjährigen die Einfädelung in einen Beruf. Sie besucht im Jahr 1977 eine höhere Handelsschule, doch nach der Rückkehr aus Mogadischu hat sie Konzentrationsstö 212 rungen und kommt im Unterricht nicht mehr mit. Ihre Eltern, der Arzt und vor allem ihre Lehrer reagieren nicht angemessen, ihnen allen fehlt es an dem nötigen Einfühlungsvermögen. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist sie jetzt eine geistig abwesende Schülerin und im Unterricht fehl am Platz.
    Das junge Mädchen gibt den Schulbesuch auf und arbeitet fortan im Gasthaus, das ihre Eltern führen. Die erhoffte Wirkung, dass sie dort innerlich zur Ruhe kommt, bleibt aus, im Gegenteil: In einem Fernsehbeitrag des WDR wenige Jahre nach dem Ereignis beklagt sie sich darüber, dass Gäste, die meist betrunken sind, dumme Sprüche über die frühere Mogadischu-Geisel machen. Das verletzt sie. Das Seminarangebot von Andreas Ploeger in Aachen nimmt sie nicht an, weil sie, wie sie im Fernsehgespräch weiter sagt, die Reise hätte selbst bezahlen müssen, wofür sie das Geld nicht gehabt habe. Außerdem habe sie während besagter Woche im Gasthaus arbeiten müssen.
    19 Jahre nach dem Drama erzählt das »Landshut«-Opfer einer Jour­nalistin, die anlässlich des Prozesses gegen Sou­haila Andrawes ehemalige Geiseln zu den psychischen Folgen der Entführung befragt, sie habe die Einzelheiten inzwischen vergessen. Sie wisse nur noch von ihrer ständigen Angst, dass die Maschine in die Luft fliegt oder jemand erschossen wird.
    Edelgard und Everhard Wolf saßen gemeinsam in der entführten »Landshut«.

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