Die Ueberlebenden von Mogadischu
Edelgard Wolf bleibt während der fünf Tage ruhig und besonnen. Ihr Mann machte ihr den Aufenthalt in der Maschine nicht leichter. Als Mahmud zu Beginn der Entführung die Pässe der Geiseln einsammelt, fehlt beim Nachzählen ein Pass. Es ist der Pass von Everhard Wolf, der sich reflexartig an ein Gebot aus dem Krieg erinnert hatte, wonach ein Soldat immer sein persönliches Dokument »am Mann« haben muss. Mahmud insistiert, Everhard Wolf muss sich schließlich melden. Er wird von dem erzürnten Mahmud geschlagen, weil er den Pass nicht gleich herausgerückt hat.
Später wird Everhard Wolf ein weiteres Mal von Mahmud 213 geschlagen, er bekommt den Knauf von Mahmuds Waffe direkt ins Gesicht. Der schwerhörige Everhard Wolf hatte ein Rauchverbot, das Mahmud wieder einmal verkündet hatte, nicht mitbekommen. Als er laut nach Feuer fragte, fühlte sich Mahmud provoziert.
Mit dem schlimmen Erlebnis in der Maschine wird Everhard Wolf eine frühere traumatische Erfahrung wieder gegenwärtig: Er war als Soldat im Russlandfeldzug mehrfach verwundet worden. Er fühlt sich zurückversetzt in den Krieg. Edelgard Wolf hat, als die Maschine in der sengenden Hitze von Dubai steht, Grund zur Sorge, denn ihr Mann redet plötzlich wirr und verliert auch das Bewusstsein. Die Chefstewardess Hannelore Piegler holt ein Sauerstoffgerät herbei, Everhard Wolf kommt wieder zu sich.
In dem Augenblick, da Edelgard und Everhard Wolf in der Maschine voneinander Abschied nehmen und auf die Sprengung der Maschine warten, kommt der Ruf von Mahmud: »Sieg! Sieg! Wir haben gewonnen!« Die Bundesregierung habe zugesagt, die inhaftierten Terroristen nach Mogadischu zu bringen. Als Edelgard und Everhard Wolf nach der Befreiung durch die GSG - 9 -Leute die Sandkuhle erreichen, wo sich alle Frauen und Männer sammeln sollen, sagt Everhard Wolf, er habe Verschlüsse in den Beinen, er könne nicht mehr laufen, er schaffe es nicht. Worauf Edelgard Wolf zurückgibt: »Aber um mich hast du dich nicht gekümmert!« Edelgard Wolf trägt später schwer daran, ihrem Mann diesen Vorwurf gemacht zu haben. Es tut ihr sehr leid. Sie nimmt ihren Mann in Schutz: Sie hätte erkennen müssen, wie schlecht es ihm nach diesen fünf Tagen gegangen ist.
Über die Enttäuschung, die ihr Mann ihr zugefügt hat, als er ihr das Essen vom Teller nahm, spricht sie nicht.
Als Everhard Wolf in der Flughafenhalle von Mogadischu sieht, wie die schwer verletzte Terroristin Souhaila Andrawes auf einer Bahre weggetragen wird, will er zu ihr laufen und ihr einen Tritt geben. Edelgard Wolf bemerkt es rechtzeitig und hält ihren Mann am Arm. »Das gibt es einfach nicht für mich«, sagt Edelgard Wolf 214 1980 im Gespräch mit Ebbo Demant, »dass man, wenn einer gestrauchelt ist, auch noch den letzten Tritt gibt.«
Everhard Wolf kommt nach seiner Befreiung nicht über das Trauma hinweg. Er ist ein gebrochener Mann. Früher war er derjenige, der die Kantine der Zeche Niederberg leitete, ein fröhlicher und geselliger Mensch, von jetzt an wirkt er in sich gekehrt und meidet die Begegnung mit Menschen.
Edelgard Wolf pflegte über ihren Mann zu sagen: »Der Everhard hat das nicht verkraftet.« Edelgard Wolf geht mit dem Trauma aktiver, kämpferischer um – überhaupt gibt es viele Frauen aus der entführten »Landshut«, die ihre Entführung mit Lebenswillen und Kampfgeist verarbeiten, während es viele Beispiele von Männern gibt, jüngere wie ältere, die hinterher dauerhaft »durchhängen« oder aus der Spur geraten.
Edelgard Wolf, früher Werksfürsorgerin in der Zeche Niederberg, ist eine »preußisch geprägte« Frau, wie sie sich selbst in einem Zeitungsartikel charakterisiert. Ihr Mann Everhard sagt über sie: »An dir kann man ein Tau festmachen.« Sie feiert vom Jahr 1978 an bis zu ihrem Lebensende zwei Geburtstage im Jahr, an ihrem eigentlichen Geburtsdatum und jeweils am 18. Oktober, dem Tag ihrer Befreiung aus der »Landshut«. Das Leben, sagt sie über den 18. Oktober 1977 , ist ihr an diesem Tag noch einmal geschenkt worden. Immer am 18. Oktober öffnet sie eine gute Flasche Wein und stößt mit Freunden auf das Leben an – ein Leben, das sie gedanklich schon einmal abgeschrieben hatte.
Zum 18. Jahrestag der Entführung trifft sich Edelgard Wolf mit anderen Geiselopfern. Alle trinken darauf, dass sie nun volljährig seien.
Edelgard Wolf nimmt Anteil am Leid anderer Menschen, auch in der Maschine war es nicht anders. In dem Augenblick, als Kapitän
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