Die Ueberlebenden von Mogadischu
ging. Ich bin da ja nicht vom Fach, aber das ist mein Eindruck.
Ja, oft denken Betroffene: »Ich will, dass Vater Staat anerkennt, was ich gelitten habe«, das ist ja nur natürlich.
Oder auch bei der Lufthansa. Bei ihrem Versicherer hat sich jemand 3000 Mark erstritten.
Ja, furchtbar, dass er das musste. Aber trotzdem gut, dass er es gekriegt hat. Manche Leute sind richtig stolz darauf, was sie kriegen als Opfer. In Extremfällen kommt es manchmal zu einer aggressiven Opferhaltung, die verhindert, aus dem Opferstatus auch innerlich herauszukommen und sich von dem so grausam Erlebten zu lösen. Etwa wenn sie noch einen Prozess führen und noch einen, dann muss es ihnen immer schlecht gehen, dann müssen sie immer demonstrieren, wie furchtbar das Ereignis für sie gewesen ist, und dürfen gar nicht gesünder werden. Es gibt eine chronische Haltung von manchen Opfern und Überlebenden, die nicht richtig anerkannt wurden, die heißt: »Mir steht noch etwas zu. Ich habe noch etwas zu kriegen.« Das ist aber auf Dauer schlimm, weil es ganz 206 häufig verhindert, dass die Leute Kraft gewinnen, das Erlebte abschütteln und stark und groß und aufrecht werden. Das ist einer der vielen Gründe, warum wir sagen müssen: Doch, ein Opfer, eine Überlebende braucht es, diese Anerkennung zu bekommen. Wenn man es ihnen rechtzeitig gibt und genügend gibt, dann hilft man den Leuten zu sagen, so, und jetzt richte ich mich ganz langsam auf. Jetzt merke ich, ich bin erst mal da ein bisschen getröstet oder gesehen worden, jetzt kann ich mich davon wegbewegen. Wenn man die Anerkennung nicht bekommt, ist es ganz schwer, davon wegzugehen. Mir steht noch irgendetwas zu, an irgendeiner Stelle kommt es dann. Und wenn die Leute nur sagen, dieses Scheibchen, das will ich noch haben, oder so. Das sind diese Ersatzhandlungen oder teilweise Reste davon, dass man darauf besteht, dass man anerkannt wird. Ein Teil dessen, dass Frau Schumann zur Begrüßungsfeier der zurückgekehrten Geiseln gegangen ist, mag vielleicht aus dieser Motivation kommen: Ich will, dass das gesehen und anerkannt wird, ihr leugnet es ja alle. Was ist das? Es ist, als wäre mein Leid gar nicht da, und ich bestehe darauf, dass ihr mich seht. Daran ist auch etwas sehr Gutes, Stolzes. Aber wenn Leute das chronisch haben, dann hindert es sie oft genug daran, das Erlittene hinter sich zu lassen, weil sie dann immer wieder demonstrieren müssen, wie schlecht es ihnen geht und dass ihr Leid doch damit zu tun hat, dass sie ein Unrecht erlitten haben durch die Gewalt. Das haben wir oft, dass auch vor Gericht immer noch Jahre, Jahrzehnte danach gestritten wird. Ich befürworte das gar nicht, sondern ich befürworte sehr, dass mit den Betroffenen daran gearbeitet wird, nun lass es mal hinter dir, nun gehe mal davon weg. Doch wer sind wir, zu sagen: »Du darfst das nicht tun«? Für manche ist es extrem wichtig zu erleben, dass sie öffentlich als Gelittenhabende anerkannt werden. Ein ganz anderes Beispiel, wo Sie das Quälende des Daraufbestehens auch sehen, sind manche Mobbing-Opfer. Sie sind furchtbar gemobbt und gehen einfach nicht weg von dem Arbeitsplatz, gehen einfach nicht weg. Obwohl die einzige Lösung, jeder weiß es und sieht es, wäre: Geh da weg! 207 Warum gehen sie nicht? Weil sie denken, ich will, dass es gesehen wird, dass ich hier gemobbt werde, und ich will, dass ich geschützt werde. Stattdessen wird es dann oft immer schlimmer und die Dramatik wird immer schrecklicher. Das ist so ein radikales Beispiel, wo man es auch sieht: Ein Opfer will gesehen werden, es will anerkannt werden. Bekommt es die Anerkennung, dann kann es sich auch eher davon wegbewegen. Wenn wir ihnen die Anerkennung selbstverständlich geben und sie schützen und bestärken, wenn wir lernen, Überlebende zu ermutigen und uns an ihre Seite stellen, ist das sehr viel, und das hilft ihnen auch, da schneller herauszukommen. 207
208 Vergangenheit im eigenen Leben
»Und die kaputten Ehen? Die Angst, allein zur Arbeit zu gehen? Die menschenscheue Abkapselung? Die Hassausbrüche? Das maßlose Rauchen? Noch heute, fünf Jahre danach, nehmen einige von ihnen Psychopharmaka« (Jutta Duhm-Heitzmann, Die Zeit ).
Die 86 Menschen, die ihre Entführung in einer Lufthansa-Maschine glücklich überlebt haben, sind 86 Einzelschicksale. Jede Geisel musste mit der traumatischen Erfahrung individuell fertig werden. Wenigen gelang dies relativ gut, die meisten allerdings haben dieses Glück nicht gehabt. Der
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