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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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Blick auf einige Biographien von Geiseln mag andeuten, wie »Mogadischu« das weitere Leben beeinflusste.
    Für manche befreite Geisel bedeutet die Erfahrung, 106 Stunden in einem Flugzeug entführt worden zu sein, den Anfang vom Ende ihres beruflichen Wegs. Matthias Rath aus Rheine ist kaufmännischer Leiter des Autowerks Karmann, das vor allem Spezialkarosserien für andere Autohersteller, wie etwa den berühmten Karmann-Ghia von VW , produziert.
    Nach seiner Rückkehr aus Mogadischu bekommt Matthias Rath Angstzustände. »Er musste plötzlich bei Licht schlafen«, erinnert sich seine Tochter Dorothe Köster. »Einmal hat er einen Zug sausen lassen, weil dunkelhäutige, arabisch aussehende Personen eingestiegen sind. Er hatte Angst, dass ihm so etwas noch einmal passiert, dass ihm wieder jemand ans Leben will.«
    Zu Hause wie in der Firma reagiert der früher so bedächtige, ruhige Matthias Rath plötzlich gereizt. Andere merken, dass er nicht mehr der Alte ist. Und er selbst merkt es auch. Ihm fehlt seit »Mogadischu« die Kraft, seine anspruchsvolle Arbeit zu leisten. Nicht nur, dass er rasch in Rage gerät, er wird auch früher müde als sonst und ertappt sich mitten in der Arbeit bei Gedanken, die er in der Vergangenheit nicht hatte, philosophische Gedanken über die Menschen und das Leben, über das Gute und Schlechte im Menschen, über das Schicksal und über Gott, der das Schicksal bestimmt.
      209 In dem Bewusstsein, dass ihm die Kräfte schwinden, lässt sich Matthias Rath von seinen Aufgaben im Unternehmen entbinden. Er hört aber nicht komplett auf zu arbeiten, noch nicht. Einige Zeit lang besucht er vormittags, zwischen acht und zwölf, sein Büro, um auf dem Laufenden zu bleiben und Zeitung zu lesen. Er weiß, dass sein Berufsweg zu Ende ist, doch er nimmt die Chance eines schleichenden, und, wie er es selbst empfindet, ehrenvollen Ausstiegs gerne an.
    Persönlich wird Matthias Rath, so erzählen seine Witwe und seine Tochter, nach »Mogadischu« immer verschlossener. Während die Beziehung zu Tochter Dorothe liebevoll bleibt, reißt der Kontakt zu Gattin Hedwig Rath in mancher Hinsicht ab.
     
    H.R.: Er hat mit 60 Jahren aufgehört, weil er immer Angst hatte, in der Firma könne es brennen. Er hatte vor allem Angst.
    D.K.: Er besorgte sich eine Gaspistole, die er in seinem Nachtschränkchen verwahrte.
    Er hätte eine Therapie machen können.
    D.K.: Mein Vater war ein sehr rationaler Typ. Er sagte immer: Was ich mit meinem Verstand nicht regeln kann, kann auch ein anderer nicht für mich regeln. Er fand, dass die Psychologen und Therapeuten selbst eine an der Klatsche hatten. Das war sein Hauptproblem: Er wollte dieses Erlebnis mit sich selbst ausmachen.
    H.R.: Dabei war er doch so richtig angeschlagen. Manchmal sprach er kein Wort, wenn er am Morgen aus dem Haus ging. Vorher war er immer so gesprächig gewesen. Er war nicht mehr wie früher.
    D.K.: Aber mein Vater hat aus diesem Ereignis auch ganz viele Einsichten gewonnen und sein Leben geändert. Bis dahin war er im Beruf sehr ehrgeizig gewesen. Nach der Entführung sagte er: Zu diesem oder jenem Termin muss ich nicht hin, die kommen auch ohne mich aus. Er war immer noch stolz darauf, was er im Leben erreicht hatte. Er war beruflich ganz nach oben gekommen. Aber er ist die drei Lebensfragen, die wir uns ja alle stellen müssen: Warum bin ich hier? Was ist meine Aufgabe? Wo führt mein Weg hin?, noch einmal durchgegangen und erkannte jetzt auch den 210 Preis, den er für die Karriere gezahlt hatte – die häufigen Umzüge mit der Familie, sein manchmal schroffer Ton nach einem stressigen Arbeitstag.
    Ihr Mann war gläubiger Christ. Hat der Glaube ihm bei der Bewältigung des Erlebten geholfen?
    H.R.: Ich denke, ja.
    D.K.: Ich meine, dass er danach häufiger und mit noch größerer Überzeugung in die Kirche gegangen ist und dass ihm das geholfen hat.
    (Hedwig Rath und Dorothe Köster, 2011 )
    Früher war Matthias Rath, wenn er mit Freunden zusammensaß, ein Geschichtenerzähler, ein Mann von gewinnendem Charme und trockenem Humor. Charme und Humor gehen ihm jetzt verloren. Matthias Rath geht wegen der Beeinträchtigung, die er durch seine Geiselnahme erlitten hat, vor Gericht, und das mit Erfolg. »›Mogadischu‹-Geisel zu 70  Prozent erwerbsunfähig«, lautet eine Schlagzeile in einer der Zeitungen, die über das Urteil berichten. Das Sozialgericht in Münster akzeptiert ständige Todesangst, ein Klima ausgeprägter Verzweiflung sowie nervös

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