Die Ueberlebenden von Mogadischu
dieser Seite in sich haben. Und was man sich nicht anschaut und nicht integriert, das wird man wohl wiederholen.
Es gibt Fraktionen unter den früheren Geiseln, mehrere Gruppen. Die Betroffenen haben innerhalb einer Gruppe Kontakt, es gibt aber auch Gruppen, die keinen Kontakt pflegen.
Vielleicht wäre das auch sowieso so gewesen, das weiß man ja nicht. Selbst wenn sie einfach nur im Flugzeug gewesen wären und hätten sich auf einer Party kennengelernt, dann weiß man auch nicht, ob es nicht solche Sortierungen gegeben hätte. Es gibt immer Sollbruchstellen, wie Ingenieure sagen. Also, wenn die Leute nicht die Gemeinsamkeiten, die sie haben, nutzen, dann kommen die Fremdheiten, die sie ohnehin haben, umso mehr zum Tragen. Das ist ähnlich wie ein anderes Phänomen: Extremes zu erleben bringt das Beste und das Schlechteste in den Leuten zum Vorschein. Eine solche Situation radikalisiert die Menschen. Die müssen alles tun, um mit der Situation fertig zu werden, und das sind oft sehr tiefe Gräben, die aus kleinen Unterschieden entstehen, auch zwischenmenschlich.
Aber da gibt es offensichtlich ja keine oder fast keine Abstufung. Das ist dann ein Entweder-oder ? Wie sehen Sie das ?
Nein. Die meisten Leute versuchen in der Situation selber in den Überlebensmodus zu kommen, und sie können sich oft nur so viel Mitgefühl leisten, wie das eben möglich ist und wie in ihnen steckt. 204 Einer hat ja – das fand ich ganz großartig, das ist auch ein von mir sehr respektierter Überlebensmodus – gesagt, ich habe viel geschlafen. Er hat sich komplett abgeschottet von allem und hat sich mitten in dem Inferno gesagt, jede Sekunde nehmen und mich ausklinken, damit ich Kraft sammle zum Überleben. Der hat manche Sachen gar nicht mitgekriegt. Da sieht man: Das, was man schon hat, wird akzentuiert, und es wird in die positive oder negative Richtung akzentuiert. So kann man es vielleicht sagen. Deswegen gilt: Extremes bringt das Beste und das Schlechteste in einem zum Vorschein. Es kommt erst einmal heraus, was da ist, und das wird dann verstärkt.
Weshalb ist es für die Seele der Opfer eigentlich so wichtig, dass sich jemand bei ihnen entschuldigt ? Eine Entschuldigung ist ja bei den Geiseln ausgeblieben.
Das ist enorm wichtig. Das hat etwas mit ihrer Würde zu tun, das hat mit dem Anerkennen zu tun. Denn man muss sich ja auch selbst anerkennen, in dem eigenen Leid. Sich selbst sagen, das war wirklich furchtbar. Dabei hilft ganz enorm, wenn ein anderer Mensch sagt, ich stelle mir vor, das war wirklich eine schlimme Situation. Man muss den Leuten nichts einreden. Aber wenn das Anerkennen da ist, dass da ein tiefes, leidvolles Geschehen erlebt wurde, und wenn ihnen erkennbar damit begegnet wird, dass sie gesehen werden in dem Aspekt in ihnen, der gelitten hat. Für alle Menschen ist das wichtig.
Ist das heute besser ?
Das kommt darauf an, wer es ist. Es gibt immer noch genügend Situationen, sowohl in Institutionen als auch einfach zwischenmenschlich, wo die Anerkennung ausbleibt. Der Partner will nur aufheitern und sagt, lach doch mal wieder, mach doch mal was Nettes, mein Gott, kannst du denn immer noch nicht davon lassen. Das führt leider eher dazu, dass es schlimmer wird. Die Botschaft: »Stell dich nicht so an« ist genauso verheerend, wie wenn man direkt danach sagt, das ist so furchtbar, das werden Sie nie verarbeiten. Das ist übrigens auch eine tolle Variante, nicht selten in der 205 Berichterstattung der Medien, wenn es heißt: Das wird das Opfer niemals verarbeiten, es wird sich nie davon erholen. Das gibt es ja immer wieder. Das finde ich genauso furchtbar, damit lässt man die Überlebenden auch im Stich. Aber das Anerkennen dessen, dass da ein tiefes Leid erlebt wurde und die Wertschätzung dafür, dass sie dies so gut wie möglich überlebt haben und sich bemühen, es zu verarbeiten, das ist ganz zentral, mitmenschlich wie auch für eine Gesellschaft. Sonst spaltet man immer: »Wir haben ja nichts damit zu tun, aber du, ach du armes Hascherl« und dann, nach kurzer Zeit: »Tralala, jetzt geht’s doch wieder wunderbar, ja, wenn du jetzt nicht mitlachen kannst, bist du selbst schuld.« Damit pathologisiert man individuell, gibt dem Opfer das Gefühl, selbst schuld zu sein an seinem Leid, einfach nicht in Ordnung zu sein, ein Außenseiter. Das ist richtig schlimm, es kann eine weitere Traumatisierung bedeuten.
Ich glaube auch, dass es bei diesen Forderungen nach Schmerzensgeld zum Teil um etwas anderes
Weitere Kostenlose Bücher