Die Ueberlebenden von Mogadischu
musste auf Fragen des Richters antworten. »Schon das war für meine Mutter ziemlich hart.«
1996 wird Souhaila Andrawes wegen Mordes an Flugkapitän Jürgen Schumann zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Vier Jahre gelten als bereits verbüßt. Ein Jahr später erfolgt ihre Überstellung nach Oslo, und weitere zwei Jahre später kann sie das Gefängnis wegen gesundheitlicher und familiärer Gründe verlassen. Seit 2005 ist sie norwegische Staatsbürgerin.
236 Mein Leben ist kein langer ruhiger Fluss
Ein Gespräch mit Gabriele von Lutzau
Guten Tag. Mein Name ist Martin Rupps. Ich bin Journalist. Spreche ich mit Gabriele von Lutzau?
Nein, ich bin die Tochter.
Kann ich Ihre Mutter sprechen?
Was wollen Sie von meiner Mutter? Lassen Sie meine Mutter in Ruhe!
(Zwanzig Minuten später, nachdem ich mehrmals geschluckt habe.)
Ich bin es noch einmal, Martin Rupps. Ich finde es nicht okay, wie Sie das Gespräch beendet haben. Ich habe mit Ihrer Mutter nichts Böses im Sinn.
Meine Mutter wohnt hier nicht.
Würden Sie mir dann ihre Telefonnummer geben?
Die Nummer steht im Telefonbuch.
Dann können Sie mir die Nummer auch geben!
Na ja. Also gut. Die Nummer ist ...
(Zehn Minuten später, Anwahl dieser Nummer, kein Klingelzeichen, sofort spricht eine Stimme.) Meine Tochter hat mich schon vorgewarnt.
Das ging aber schnell.
Meine Tochter meint immer, dass sie mich schützen muss. Dabei bin ich selber groß, ich kann mich schon wehren. Sie kriegt das natürlich mit, wenn wieder einmal jemand anruft und sagt: Ich möchte den »Engel von Mogadischu« sprechen.
Den möchte ich auch sprechen, aber nicht einfach so.
Was kann ich denn für Sie tun? [. . . ]
In einem Fernsehporträt über Gabriele von Lutzau aus dem Jahr 1995 sagt die Porträtierte: »Ich stelle mir eine Zukunft ohne Mogadischu vor.« Ist diese Zukunft eingetreten ?
»Mogadischu« beherrscht keinesfalls mein Leben. Ich bin mittlerweile innerlich so entspannt, dass ich dem Ganzen mit einer gewissen Distanz begegnen kann. Es zieht mich nicht länger runter, wenn ich darüber rede. Es gibt allerdings auch Erinnerungen 238 und Empfindungen, über die ich nicht mehr spreche, weil ich weiß, dass mich das tief in meinem Inneren aufwühlen würde, und das umso mehr, je älter ich werde. Ich habe mich als einen Teil dieser Entführungsgeschichte akzeptiert und sehe mich selbst, wenn die Rede darauf kommt, aus einer gewissen Distanz. Solange ich die oberflächlichen Dinge erinnere, ist es für mich kein Problem mehr.
Und von wann an, glauben Sie, ist diese innerliche Entspannung, diese Distanz zum Erlebten eingetreten ?
Abb. 10 : Gabriele von Lutzau, Stewardess in der entführten »Landshut«, gab nach der Befreiung ihren Beruf auf. Heute arbeitet sie als Bildhauerin. 237
Das kann ich nicht mehr sagen. Irgendwann war mir die Sache herzlich egal. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war, glaube ich, meine Mitwirkung an Heinrich Breloers Film Todesspiel . Ich war beratende Zeitzeugin. Die Dreharbeiten waren für mich ein Psychodrama, bei dem die Kanten der Erinnerungen abgefeilt wurden.
Das war immerhin 20 Jahre später.
Richtig. Ich wollte erst Nein sagen, aber dann haben viele Leute sehr gut über Heinrich Breloer gesprochen, und ich sagte zu. Das war das Beste, was ich tun konnte!
Aber es gibt Erlebnisse oder Bilder in der Tiefe, bei denen ist sozusagen der Deckel drauf ?
Da ist kein Deckel drauf. Ich habe nur keine Lust, dauernd in diesen Erinnerungen herumzuwühlen. Ich bin ja kein Masochist. Ich habe das alles schon einmal gesagt. Warum sollten Leute, die Traumatisches erlebt haben, etwa wenn sie im Krieg waren oder irgendwo verschüttet wurden oder ihr Kind gestorben ist, permanent darüber reden? Das macht nur jedes Mal Atemnot. Und es hilft nicht, das Leben in der Gegenwart zu bewältigen. Es macht einen nicht glücklich, es macht einen nur unglücklich und traurig.
Es kommt also nicht vor, dass Sie zu Hause am Mittagstisch sagen: »Das erinnert mich jetzt an die schlimmen Tage von damals !«
Nie im Leben. Ich habe meine Kinder geschützt, indem ich ihnen nie etwas davon erzählt habe. Die haben sich den Film Todesspiel , als er im Fernsehen ausgestrahlt wurde, heimlich mit Freunden 239 angesehen – nicht zu Hause. Hinterher kam meine Tochter zu mir und hat mich umarmt. Ich dachte, was ist denn jetzt los? Ich habe ja keine Ahnung gehabt. Irgendwann sagte mir eine Freundin von ihr, dass sie zusammen den Film gesehen hätten. Die Kinder
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