Die Übermacht - 9
Aber wie der Großinquisitor uns allen noch einmal ins Gedächtnis zurückgerufen hat«, mit seinem Blick durchbohrte Maik jetzt Thirsk, »muss die Logik der Welt, sogar die Gnade und die Barmherzigkeit, die dem Herzen eines jeden Menschen innewohnen, hin und wieder dem Buchstaben von Gottes Gesetz weichen. Für uneinsichtige, unbußfertige Ketzer sieht dieses Gesetz nur eine einzige Strafe vor. Schueler lehrt es uns zum Wohle der Seele eben jener Ketzer und in der Hoffnung, sie noch im letzten Moment ihres Lebens Shan-wei und der Grube zu entreißen. Deshalb darf die Inquisition nicht nachgeben. Denn sonst führt die vergängliche Illusion der Gnade in dieser Welt zur ewigen Verdammnis in der nächsten. Wie der Großinquisitor ebenfalls noch einmal betont hat, dürfen wir es in Zeiten, in denen Gottes Kirche derartige Gefahr droht, nicht wagen, uns über Sein Gesetz hinwegzusetzen, so wie es der Erzengel Schueler uns dargelegt hat.«
Thirsks Kiefermuskeln spannten sich an. Er hatte die Warnung gehört – und er hatte verstanden. Er hatte nicht nur verstanden, dass jeglicher weiterer Protest, so logisch und überzeugend er auch formuliert sein mochte, nicht nur vergeblich und fruchtlos sein würde, sondern höchstwahrscheinlich gefährlich. Zugleich hatte Staiphan Maik ihn auch wissen lassen, dass der Weihbischof ihn nicht würde beschützen können, sollte der Admiral sich den Zorn des Großinquisitors zuziehen.
»Sehr wohl, Mylord«, sagte der Graf schließlich. »Ich verstehe, was Ihr sagt, und ich akzeptiere, dass ich die Weisungen befolgen muss, die man uns übermittelt hat. Wie Ihr schon sagt, droht der Kirche Gefahr, und dies hier«, kaum merklich betonte er diese letzten beiden Worte, »ist nicht der richtige Zeitpunkt, um den Großinquisitor zu hinterfragen. Oder auch den Rest des Vikariats, selbstverständlich.«
Maik verzog kaum merklich das Gesicht. Thirsk hatte es trotzdem gesehen, und so reagierte er darauf mit einem ebenso kaum merklichen Nicken. Der Weihbischof hob die Hand und wollte schon etwas sagen. Dann überlegte er es sich offensichtlich anders und wechselte das Thema.
»Wenn wir jetzt einmal von dieser Anweisung absehen und uns mit dem Rest der Depesche befassen, was halten Sie dann von Vikar Allayns Analyse der Geschehnisse, mein Sohn?«, fragte er.
»Ich halte seine Argumentation für stichhaltig«, erwiderte Thirsk. Er lächelte matt und ohne jegliche Belustigung. Dabei hatte Maik sich so sehr um ein weniger brisantes Thema bemüht! Dann zuckte er mit den Schultern. »Ganz offenkundig haben die Charisianer«, das Wort ›ketzerisch‹, das sonst unweigerlich hier zum Einsatz gebracht worden wäre, nutzte der Admiral in seinen Gesprächen mit Maik nur noch sehr selten (vermutlich eine weitere recht gefährliche Angewohnheit seinerseits), »eine Möglichkeit gefunden, ihre Kanonenkugeln mit Schießpulver zu füllen, genau wie der Captain General ausgeführt hat. Ich selbst war auf diese Idee noch überhaupt nicht gekommen. Ich müsste erst ein paar Worte mit den Meistern aus den Gießereien wechseln, bevor ich auch nur mutmaßen könnte, wie schwierig es ist, hohle Kanonenkugeln zu gießen, die nicht einfach platzen, wenn man sie abfeuert. Aber es ist unverkennbar, dass die Charisianer das bereits hinbekommen haben. Wie sie diese Dinger dann dazu bringen, zu genau dem richtigen Zeitpunkt zu explodieren, ist natürlich wieder etwas völlig anderes.«
Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. Fast unwillkürlich hatten sich sein Verstand und seine berufliche Neugier zu Wort gemeldet.
»Sie müssen eine Art Lunte verwenden.« Er sprach sehr leise. »Aber wie zünden sie die? Das Rohr ist viel zu lang, um dorthineinzulangen und die Lunte zu entzünden, nachdem die Kugel hineingeschoben wurde – es sei denn, sie würden diese Dinger nur mit Karronaden verschießen. Das wiederum passt nicht zum möglichen Gewicht dieser Geschosse, von dem Pater Greyghor berichtet hat. Hmm ...« Die Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer. »Das Mündungsfeuer? Nutzen die vielleicht das? Wenn ja, wie bekommen sie es dann hin, dass die Lunte nicht in diese hohle Kugel hineingedrückt wird und sie vorzeitig explodieren lässt?«
Staiphan Maik verkniff sich einen erleichterten Seufzer. Er hatte Thirsk von seinem gefährlichen Zorn abgelenkt. Das würde natürlich nicht lange anhalten – das wusste der Weihbischof genau. Aber er musste den Admiral zumindest ein wenig zur Ruhe bringen, ehe er sich vollends
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