Die Übermacht - 9
bevölkerungsreichste aller Reiche auf Safehold, war ein fast unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften, auf das die Kirche notfalls zurückgreifen konnte. Geographisch betrachtet schützte es den Westen der Tempel-Lande. Aber für Clyntahn mochte noch wichtiger sein, dass ganz Harchong von Natur aus eine tief verwurzelte Abneigung gegen jene Neuerungen und sozialen Veränderungen hegte, die Charis aus dem Blickwinkel der Inquisition überhaupt erst zu einer Bedrohung gemacht hatten.
Trotzdem konnte sich nicht einmal Clyntahn einreden, Harchongs Beitrag zu Bischof Kornylys Harpahrs Flotte sei mehr gewesen als ein Hemmschuh. Harchongs Schiffe waren mit äußerst armseligen Matrosen bestückt und mit noch armseligeren Offizieren. Dank der Ineffizienz der harchongesischen Gießereien waren zudem viele der Schiffe gänzlich unbewaffnet gewesen.
»Ich bin es allmählich leid, immer und immer wieder auf die Unzulänglichkeiten von Harchong hingewiesen zu werden!«, erklärte der Großinquisitor scharf. »Ich gebe ja zu, dass sie nicht gerade die besten Seeleute der Welt sind. Aber wenigstens können wir uns auf sie verlassen ... im Gegensatz zu manch anderen, die ich aufzählen könnte.« Er stieß ein raues, zornigen Grunzen aus. »Schon sonderbar, dass Searose ausgerechnet in der Siddarmark gelandet ist, nicht wahr?«
Es gelang Duchairn, nicht die Augen zu verdrehen. Er hatte die Bemerkung bereits kommen sehen. Clyntahn brachte der Republik Siddarmark ebenso automatisch Abneigung und Misstrauen entgegen, wie er Harchong allen anderen Reichen vorzog.
»Das lag gewiss nur daran, dass die Bédard Bay der nächstgelegene sichere Hafen war, den er ansteuern konnte«, meinte Trynair.
»Ja, vielleicht. Aber es wäre mir fast lieber, wenn er mit seinen Schiffen jetzt auf dem Meeresgrund läge!«, grollte der Großinquisitor. »Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist, dass unsere Navy – das, was von unserer Navy noch übrig ist, sollte ich wohl lieber sagen! – von Siddermarks Aufsässigkeit angesteckt wird. Das Embargo ist doch jetzt schon so durchlässig wie ein gottverdammtes Sieb! Langhorne allein weiß, wie schlimm das noch wird, wenn die, die dafür verantwortlich sind, das Embargo durchzusetzen, sich mit dem Dreckskerl Stohnar zusammentun!«
»Zhaspahr, Sie wissen doch, dass ich Ihnen da ganz Recht gebe: Wir müssen vorsichtig sein, was die Siddarmark betrifft«, warf der Kanzler vorsichtig ein. »Und ich weiß auch, dass Stohnar ganz offenkundig mit seinen eigenen Händlern und Bankhäusern unter einer Decke steckt, um das Embargo zu unterlaufen. Aber auch Rhobair hat Recht. Im Augenblick wächst in der Siddarmark und in Silkiah die Wirtschaft am stärksten, eben weil dieses Embargo ›durchlässig wie ein Sieb‹ ist. Das ist der Grund, und Sie wissen das!«
»Also sollen wir uns einfach unsere Hintern platt sitzen und zulassen, wie sich die anderen ins Fäustchen lachen, weil Mutter Kirche das nicht im Griff hat?«, forderte ihn Clyntahn mit noch rauerer Stimme heraus. »Sollen wir zulassen, dass sie während des ersten Heiligen Krieges in der Geschichte dieser Welt die legitime Autorität von Mutter Kirche sträflich missachten und auch noch reich dabei werden?!«
»Meinen Sie vielleicht, mir gefällt das?«, schoss Trynair zurück. »Aber eine Peitschenechse haben wir bereits am Schwanz gepackt! Wir sollten wirklich nicht mehr als einen Krieg gleichzeitig führen, Zhaspahr! Und mit Ihrer gütigen Erlaubnis würde ich mich wirklich gern erst einmal um den kümmern, in dem wir gerade schon stecken, bevor wir uns auch noch mit der Siddarmark anlegen!«
Mürrisch verzog Clyntahn die Lippen. Duchairn verkniff sich einen erleichterten Seufzer. Von allen Ländern, die sich dem Kaiserreich Charis aus freien Stücken angeschlossen hatten oder von diesem Reich erobert worden waren, hatte die Kirche bereits die Zehntzahlungen verloren. Das an sich war schon ein beachtlicher Teil der Gesamteinkünfte. Aber von allen Reichen auf dem Festland waren nur die Republik Siddarmark, das Großherzogtum von Silkiah und das Desnairianische Reich in der Lage, einen Zehnten in der gleichen Größenordnung zu entrichten wie vor dem Krieg. Dabei war es fraglich, ob Desnairia das noch lange aufrechterhalten konnte.
Der einzige Grund, warum das Desnairianische Reich überhaupt noch zurechtkam, waren die Tiefe und die Ergiebigkeit seiner Goldminen. Allerdings strömte dieses Gold ihnen wie Wasser zwischen den Fingern
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