Die Übermacht - 9
militärischen Gruß die Hand an die Brust und hastete davon, ganz offensichtlich erleichtert, seine Aufgabe erfüllt zu haben, ohne bei Ihrer Majestät in Ungnade gefallen und an Ort und Stelle zu Asche verbrannt zu sein.
»Man kann sich kaum vorstellen, dass unser Hektor bei der Schlacht im Darcos-Sund sogar noch jünger war als dieser Bursche da«, bemerkte Sharleyan. Ihr Lächeln wirkte jetzt ein wenig traurig. Merlin nickte.
»Das ist wahr, obwohl ich bezweifle, dass selbst Meister Pahskal noch so jung wirkt, wenn es einfach nur um Leben und Tod geht, Eure Majestät.«
»Bin ich wirklich so furchteinflößend?«
»Für einen Dreizehnjährigen?« Merlin lachte schallend. »Eure Majestät, die Vorstellung, Cayleb und Euch entgegenzutreten, kann einem ausgewachsenen Mann die Knie weich werden lassen! Wenn ein einfacher Midshipman plötzlich zwischen Baum und Borke gefangen ist – auf der einen Seite der Todeswal, die Anweisungen des Kapitäns zu erfüllen, auf der anderen Seite der gewaltige Kraken, er könne das Missfallen seiner Kaiserin erregen –, dann gibt es nur eines, was er sich wirklich von Herzen wünscht: an einem ganz anderen Ort zu sein! Und das vorzugsweise so rasch wie möglich.«
»Meint Ihr, er wird irgendwann darüber hinwegkommen?«, fragte Sharleyan und mühte sich nach Kräften, nicht ebenfalls in schallendes Gelächter auszubrechen.
»Ach, wahrscheinlich schon, Eure Majestät. Wenn er häufig genug in Eure Nähe kommt, meine ich. Es würde mich nicht im Mindesten überraschen, wenn das der Grund gewesen ist, warum Captain Kahbryllo ihn hierher geschickt hat, statt persönlich mit Euch zu sprechen.«
»Da könntet Ihr Recht haben«, meinte Sharleyan. Dann schnippte sie mit den Fingern und schüttelte kurz den Kopf.
»Was habt Ihr, Eure Majestät?«, erkundigte sich Merlin.
»Ich hätte den jungen Pahskal bitten sollen, auch Spynsair und Pater Neythan Bescheid zu geben!«
»Ich bezweifle, dass Captain Kahbryllo vergessen hat, Euren Privatsekretär und Euren Obersten Rechtsgelehrten zu informieren, Eure Majestät.«
»Sonderlich wahrscheinlich ist das wohl nicht. Aber ich hätte mich vergewissern müssen.«
»Würde es Euch beruhigen, wenn ich hinüberginge und all die finstere Gewalt meines Furcht erregenden Rufes dazu nutze, mich davon zu überzeugen, dass sie wirklich informiert wurden, Eure Majestät?«, fragte Merlin und verneigte sich tief vor ihr. Sharleyan kicherte. Unverkennbar: Sie kicherte.
»Ich denke, das ist nicht nötig, Captain Athrawes«, sagte sie ernsthaft. Dann seufzte sie, und mit einem Mal war ihre Miene längst nicht mehr so belustigt. »Und wahrscheinlich konzentriere ich im Augenblick auch nur auf derart unwichtige Kleinigkeiten, weil ich auf diese Weise vermeiden kann, über die wirklich folgenschweren Dinge nachzudenken.«
»Das kommt vor, Eure Majestät«, gab Merlin zurück und zuckte kaum merklich die Achseln. »Aber mir ist bereits aufgefallen, dass Ihr Euch diesen Dingen letztendlich noch zuzuwenden pflegt. Das scheint Ihr mit Cayleb gemeinsam zu haben.«
»Das will ich doch wohl hoffen!«, erwiderte sie und klang nun wieder ungleich tatkräftiger. »Und ich sollte mich dann wohl auch langsam auf die Überfahrt mit dem Boot vorbereiten. Unter diesen Umständen erscheint es mir ratsam, Alahnah zusammen mit Sairah und Glahdys an Bord zu lassen. Vorausgesetzt«, sie verdrehte die Augen, »eine einfache Kaiserin kann Sairah dazu bewegen, an Bord zu bleiben!«
»Willkommen, Eure Majestät!«
Baron Green Valley beugte ein Knie und verneigte sich formvollendet, als Sharleyan den Thronsaal des Palastes betrat, der einst Tohmys Symmyns gehört hatte. Gewänder raschelten, als jeder andere Mann in diesem Saal – und auch die wenigen Frauen – dem Beispiel des Barons folgten. Nur die Wachen, die entlang den Wänden des riesigen Saales aufgestellt waren, verneigten sich nicht. Auch die Imperialen Gardisten, die Sharleyan dichtauf folgten, blieben aufrecht stehen – einschließlich des grimmigen Sergeanten neben ihr. Gleiches galt für den hochgewachsenen Captain mit den auffallenden Saphir-Augen, dessen Hand auf dem Knauf seines Schwertes lag. Sharleyan bezweifelte, dass auch nur einem einzigen der knienden Zebediahner Merlins Anwesenheit entgangen war. Aber genau das war ja auch der Hauptgrund für eben diese Anwesenheit. Schweigend schaute sich die Kaiserin um. Ein herrschaftlicher Blick traf die Versammelten.
Fast eine Minute lang ließ sie das
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