Die Übermacht - 9
hereinwehte, frischte gerade erst auf. Bald wird’s besser! , versprach sich Sharleyan selbst.
»Nahrmahn würde auch mit Euch tauschen, Eure Majestät«, meldete sich Prinzessin Ohlyvya zu Wort. »Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals so elend erlebt habe. Wenn ich mich nicht täusche, hat er am heutigen Nachmittag schon seine Schuhsohlen hochgewürgt!«
In der Stimme der emeraldianischen Prinzessin schwangen Belustigung und Mitleid ebenso mit wie zumindest eine Spur echte Besorgnis. Gewiss lenkte die Sorge um ihren Gemahl sie zumindest ein wenig von ihrer eigenen Übelkeit ab, die sich bei derartigem Seegang kaum vermeiden ließ. Sharleyan lächelte.
»Ich hatte mich schon gefragt, warum er gar nichts sagt«, gab sie zurück.
»Er hat den Heiler dazu gebracht, ihm einen Güldenbeer-Tee mit einer Dosis Schlafwurz zu verabreichen. Seitdem schläft er tief und fest«, erklärte Ohlyvya. »Soll ich versuchen, ihn zu wecken?«
»Oh nein! Wenn er schlafen kann, dann lassen Sie ihn bloß!«
»Danke!«, gab Ohlyvya aus tiefstem Herzen zurück.
»Im Augenblick beneide ich ihn sogar«, sagte Cayleb nur halb im Scherz. »Aber da ich nun einmal wach bin und nicht schlafen kann, gibt es denn etwas zu besprechen?«
»Eigentlich nicht. Um ehrlich zu sein, wollte ich vor allem deine Stimme hören«, gestand Sharleyan. »Ich glaube, der Anfang heute war ganz akzeptabel, und Kynt hat seine Rolle wunderbar gespielt. Es gibt außerdem einige Adelsvertreter, bei denen ich sehr dankbar wäre, wenn Nahrmahn sie noch ein wenig genauer im Auge behalten könnte, als wir das ursprünglich abgesprochen haben. Jetzt, wo ich ihnen persönlich begegnet bin, weiß ich nicht mehr, ob sie wirklich so von Grund auf zuverlässig sein werden, wie ich das anfänglich gedacht habe. Aber abgesehen davon habe ich wirklich das Gefühl, dass bislang alles recht gut läuft. Sonderlich auf morgen freue ich mich trotzdem nicht.«
»Das kann ich dir nicht verdenken.« Nun klang Cayleb deutlich nüchterner. »Sicher, ich glaube, mir würde das nicht ganz so viel ausmachen wie dir. Wahrscheinlich, weil ich bereits das zweifelhafte Vergnügen hatte, ihn kennen zu lernen. Weißt du, in vielerlei Hinsicht wünschte ich wirklich, ich hätte dir das abnehmen können, aber ...«
Er ließ den Satz unvollendet. Sharleyan nickte. Sie hatten oft genug über dieses Thema gesprochen. Einen Großteil der guten Gründe, warum sie hierhergefahren war und nicht Cayleb, hatte sie selbst beigesteuert. Die Welt – und vor allem das Kaiserreich Charis – musste begreifen, dass Cayleb und sie wirklich gemeinsam über dieses junge Reich herrschten, als völlig gleichberechtigte Partner ... und dass nicht nur seine Hand das Schwert führen konnte, sollte das erforderlich werden. Ihren eigenen Chisholmianern hatte sie das bereits deutlich genug gezeigt. Als sehr junge Monarchin, die im Schatten Königin Ysbells regierte, hatte sie schon sehr früh lernen müssen, dass das Schwert manchmal erforderlich war.
Und wenn es so weit gekommen ist, dann ist – für alle Beteiligten – das Schlimmste, was man tun kann, zu zögern , dachte sie grimmig. Auch das weiß ich ja aus eigener Erfahrung.
»Na ja, du kannst es mir nun einmal nicht abnehmen«, gab sie gelassen zurück. »Aber hier ist es schon später am Tag als bei dir. Deine Tochter hat sich von ihrem Wutanfall angesichts des Wetters hier ein wenig erholt und verlangt jetzt das Abendessen. Also ist es wohl an der Zeit, dass ich mich um diese Kleinigkeit kümmere. Ich wünsche allen eine gute Nacht!«
Sharleyan Ahrmahk saß sehr, sehr still auf ihrem Thron, als ihr der Gefangene vorgeführt wurde. Er war schlicht gekleidet, ganz ohne die überbordende Pracht, mit der er sich zu besseren Zeiten geziert hatte. Er wirkte ernstlich nervös – gelinde gesagt.
Tohmys Symmyns war ein Mann von mittlerer Größe und unauffälligem Körperbau. Sein dunkles Haar wurde allmählich ein wenig schütter; seine Nase war recht auffällig geformt, und seine Augen erinnerten Sharleyan an die eines toten Kraken. Während seiner Kerkerhaft war ihm ein Bart gewachsen, der ihm nicht sonderlich gut stand. Die weißen Strähnen in Haar und Bart ließen ihn älter wirken, als er tatsächlich war, ohne ihm dabei den Anschein von Altersweisheit zu verleihen.
Natürlich könnte das auch daran liegen, wie viel ich über den Kerl weiß , dachte Sharleyan grimmig.
Sie saß in dem Thronsaal, in dem einst er seine Audienzen abgehalten hatte. Auf ihrem
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