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Die Übermacht - 9

Die Übermacht - 9

Titel: Die Übermacht - 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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durchfuhr. »In der Art und Weise zornig auf Gott, wie selbst ein liebend Kind zornig auf seinen Vater oder seine Mutter sein kann, wenn es glaubt, es sei im Stich gelassen worden. Wenn es glaubt, Vater oder Mutter hätten entsetzliche Dinge geschehen lassen, obwohl sie sie hätten verhindern können. Dieser junge Unterpriester wusste damals nicht einmal, dass er überhaupt zornig war. Er glaubte einfach, er sei ... verwirrt. Er glaubte, die Welt habe sich als größer und komplizierter erwiesen, als er gedacht hatte. Und weil man ihn gelehrt hatte, es sei unverzeihlich, auf Gott zornig zu sein, hat er all diesen Zorn verinnerlicht und ihn gegen sich selbst gerichtet: in Form von Zweifeln und Selbstverurteilung.«
    Paityrs Kiefermuskeln spannten sich an, als er spürte, wie die Erfahrung jenes jungen Maikel Staynair in seiner eigenen Seele ein Echo fand. Bis zu diesem Moment hätte er nicht für möglich gehalten, Staynair könnte je so empfunden haben. Maikel Staynairs Glaube und seine Liebe brannten mit einer hellen, unauslöschlichen Flamme. Diese Flamme, diese unerschütterliche innere Ruhe und Gelassenheit, waren der Grund dafür, dass er in der Lage war, an einem feindlichen Ort wie Corisande die Kathedrale zu betreten und friedlich den Menschen die Hand zu reichen – Menschen, die bereit waren, ihn zu hassen und als Ketzer zu schmähen. Und er reichte diesen Menschen nicht nur die Hand; er brachte sie dazu, ihrerseits auch ihm die Hand zu reichen. So war er. Das war er. Das war sein ganzes Wesen. Wie konnte ein solcher Mann, ein solcher Priester, jemals die Dunkelheit und den Zweifel verspürt haben, der jetzt, wie Paityr fühlte, an seiner eigenen Seele nagte?
    »Was ... darf ich fragen, was dieser junge Unterpriester dann getan hat, Eure Eminenz?«, fragte er schließlich nach langem, schmerzhaftem Schweigen. Es überraschte ihn selbst, dass er ein Lächeln zustande brachte. »Ich meine, es ist ja offensichtlich, dass er es irgendwie geschafft hat, damit zurechtzukommen.«
    »Das ist wahr.« Staynair nickte. »Aber er hat das nicht allein geschafft. Er hat sich an andere gewandt. Er hat seine Zweifel und seine Verwirrung mit ihnen geteilt. Er hat gelernt, den Zorn als das zu erkennen, was er in Wahrheit war. Und er hat begriffen, dass es die Menschen sind, die wir am meisten lieben – und die uns am meisten lieben –, die den größten Zorn in uns wecken können. Ich will diesen jungen Unterpriester«, das Lächeln des Erzbischofs hatte auf einmal deutlich mehr Ähnlichkeit mit einem Grinsen, »nur ungern einen störrischen jungen Mann nennen. Aber ich bin überzeugt, der eine oder andere, der ihn damals gekannt hat, wäre zu diesem Schluss gekommen. Manch einer denkt sogar heute noch, er wäre störrisch. Das zu glauben ist natürlich töricht. Aber manchmal sind Menschen eben einfach so, nicht wahr?«
    »Ich ... öhm, ja, das stimmt wohl, Eure Eminenz. Einige zumindest, meine ich.«
    »Ihr natürlicher, angeborener Takt ist einer der Dinge, die ich schon immer am meisten bei Ihnen bewundert habe, Pater Paityr«, erwiderte Staynair. Dann straffte er die Schultern.
    »Scherz beiseite, ich habe Hilfe benötigt, und ich meine, von genau dieser Sorte Hilfe könnten auch Sie etwas gebrauchen. Außerdem meine ich, dass Sie weniger starrsinnig und störrisch sind als ich und diese Hilfe auch annehmen. Als Ihr Erzbischof lege ich Ihnen dringend ans Herz, sich für spirituelle Einkehrtage in das gleiche Kloster zu begeben, in das ich mich seinerzeit zurückgezogen habe, bevor Sie irgendwelche Entscheidungen treffen. Würden Sie das für mich tun? Werden Sie einige Fünftage damit verbringen, nachzudenken und zu sinnieren und vielleicht die eine oder andere Wahrheit zu erkennen, die Sie bislang noch nicht gesehen haben – oder zumindest nicht so deutlich, wie Sie das bisher gedacht haben?«
    »Selbstverständlich, Eure Eminenz«, antwortete Paityr schlicht.
    »Also gut. Dann werde ich Pater Zhon im Kloster Sankt Zherneau eine Nachricht zukommen lassen und ihm sagen, dass er Sie erwarten darf.«

.VII.
HMS Dawn Star , Hannah Bay
und Palast des Herzogs, Carmyn,
Großherzogtum Zebediah
    In der Hannah Bay ist es ja noch heißer als bei meinem letzten Besuch! , dachte Merlin. Während das für einen PICA nur von akademischem Interesse war, galt das nicht für die Besatzungsmitglieder der Dawn Star aus Fleisch und Blut. Vor allem jene, die – wie Kaiserin Sharleyan selbst – in Chisholm geboren waren, nicht im Alten

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