Die Übermacht - 9
Königreich Charis.
»Großer Gott!«, meinte Sharleyan und fächerte sich Luft zu, als sie zusammen mit Sergeant Seahamper aus dem Schatten des Sonnensegels über dem Achterdeck heraustrat. »Ihr hattet mir ja gesagt, es würde heiß sein, Merlin, aber das hier ... !«
»Ich gebe zu, mit einer Hitze in diesem Ausmaß hatte ich auch nicht gerechnet«, entgegnete Merlin. »Andererseits sind wir nun einmal in Äquatornähe, Eure Majestät.«
»Das ist mir nicht entgangen«, gab sie recht scharf zurück.
»Wenigstens seid Ihr nicht die Einzige, die darunter leidet«, gab Merlin zu bedenken. Er handelte sich damit einen finsteren Blick wahrhaftig kaiserlichen Ausmaßes ein.
Nachdem das stürmische Wetter nachgelassen hatte, war Kronprinzessin Alahnah ein deutlich zufriedeneres Baby gewesen. Doch anscheinend hatte sie bislang noch nicht die Toleranz für höhere Temperaturen entwickelt, die ihr Vater ihr möglicherweise vererbt hatte. Quengelig reichte nicht einmal annähernd, um ihre derzeitige Stimmung zu beschreiben – und das wusste Sharleyan besser als alle anderen an Bord.
»Vielleicht sollte ich das lieber anders ausdrücken, Eure Majestät«, schlug Merlin vor und hörte aus Seahampers Richtung einen Laut, der verdächtig nach einem Glucksen klang. Kurz blickte er zu dem grauhaarigen Sergeanten hinüber. Doch Seahamper lächelte ihn nur nachsichtig an.
»Ja, vielleicht«, meinte Sharleyan spitz und zog damit wieder die Aufmerksamkeit ihres persönlichen Waffenträgers auf sich. »Es sei denn, Ihr möchtet selbst versuchen, Eure Patentochter ein wenig aufzuheitern!«
»Es ist mir stets eine Ehre, in Euren Diensten selbst die schwierigsten Aufgaben auf mich zu nehmen«, erwiderte Merlin und verneigte sich. » Unmögliche Aufgaben hingegen gehen selbst über die Fähigkeiten eines Seijin hinaus.«
»Das weiß ich wohl!«, meinte Sharleyan.
Die Kaiserin trat an die Reling heran. Offiziere und Matrosen auf Deck traten zur Seite, um ihr ein wenig Platz zu lassen. Dann blickte Sharleyan über die blauen Wellen der Bucht hinaus. Sie sahen verführerisch kühl aus, funkelten und blitzten in dem unablässigen, gleißenden Sonnenlicht. Die Kaiserin wünschte sich, sie könnte diese Kühle jetzt genießen. Bedauerlicherweise musste sie andere Dinge erledigen. Sie kniff die Lippen zusammen, als sie die sechs Galeonen der Imperial Charisian Navy betrachtete, die hier gemeinsam mit der Dawn Star vor Anker gegangen waren. Zwanzig weitere Galeonen – Transportschiffe, die unter dem kaiserlichen Banner fuhren – lagen zwischen ihrem Schiff und der Küste. Leichter und Schaluppen brachten ihre Fracht an Land: Truppen der Imperial Army. Sharleyan bezweifelte, dass diese Verstärkung erforderlich war. Tohmys Symmyns war beim Volk von Zebediah alles andere als beliebt. Die Kaiserin hatte sich sogar ausdrücklich dagegen ausgesprochen, die Truppen hierher zu bringen. Aber auf diese Diskussion hatte sich weder Cayleb einlassen wollen noch Herzog Eastshare, der Oberkommandierende der Charisian Imperial Army. Merlin hatte ihnen beigepflichtet – sogar recht nachdrücklich, wenn die Erinnerung Sharleyan nicht trog.
»Ich hoffe, die Zebediahaner verstehen das nicht falsch«, sagte sie nun, leise genug, dass nur Merlin sie verstehen konnte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob die das überhaupt falsch verstehen können«, subvokalisierte er. Er stand immer noch hinter ihr, und Sharleyan musste sich ein Lächeln verkneifen, als sie seine Stimme plötzlich über ihren Ohrhörer vernahm. »Ich halte es für sehr wichtig, dass der niedere Adel und das einfache Volk genau verstehen, dass Cayleb und Ihr keinen weiteren Unfug mehr dulden werdet, und nicht nur die Zebediahner von edlerem Geblüt. An einem Ort wie Zebediah wird niemand seinen Hals für etwas riskieren, was vielleicht nur eine Übergangsregierung ist. Wenn die sich nicht sehr sicher sind, dass Ihr die Absicht habt, auch wirklich vor Ort zu bleiben – und die neuen Gesetze durchzusetzen –, wird man vermutlich versuchen, sich durchzulavieren. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Inquisition und Mutter Kirche es nicht sonderlich günstig aufnehmen werden, wenn Zebediah sich für eine charisianische Regierung entscheidet.«
»Ich weiß«, gab Sharleyan fast lautlos zurück. »Aber ich muss einfach immer wieder daran denken, was sich Hektor hier geleistet hat. Dieses Volk hat wirklich keine guten Erfahrungen gemacht, was Besatzungstruppen angeht.«
»Richtig«, bestätigte
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