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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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bezahlt, und Fokko stellt sich vor, er betritt einfach das Haus und schließt die Tür, er zaubert sich mit Hilfe der skythischen Uhr aus dem Blick der Bäuerin, verläßt ohne ein Wort diesen Flecken, wo auch ohne Zauberuhr die Zeit nicht vorankommt, macht einen Bogen um Ditzum und nimmt den nächsten Bus Richtung Süden, ist am Abend zurück, betritt das Crocodile eben zur rechten Stunde, alles ist wie immer, Schwammheimer sitzt an seinem Hochaltar und kritzelt was ins Notizbuch, Eva hantiert an der Kaffeemaschine, bedenkt ihn mit einem amüsierten Seitenblick und sagt etwas wie: Was kann ich für dich tun?
    »Was ist mit Vater?« fragt er.
    »Ist im Heim«, sagt sie und zieht einen Schlüssel aus der Schürzentasche, mit dem sie auf das Schloß verweist, in dem schon der rostige Bruder steckt.
    »Wie geht es ihm?«
    »Keine Ahnung, Fokko, ich komm da nicht mehr hin…«
    »Wohin nicht?« fragt er, ehe sie Gelegenheit hat, die Vorwürfe auszubreiten, die in ihren Augen blitzen. 
    »Nach Leer.«
    »Da ist er also.«
    Sie nickt, als hätte sie die Peinlichkeit einer großen Schande nun endlich und gottlob über ihre Lippen bekommen.
    »Was ist mit dem Haus?«
    »Was soll mit dem sein?«
    »Das verfällt doch.«
    »Allerdings. Ich mach nur das Nötigste, mehr kann ich auch nicht, hab die eigene Arbeit, und die Knochen wollen nicht mehr wie früher.«
    Die alte Frau steckt den Schlüssel in die Schürze zurück.
    »Wenn was ist…«, sagt sie, schaut ihn an wie ein unglückliches Mädchen, dreht sich weg und geht.
    »Frau Freesemann«, ruft Fokko ihr nach, von einem unerwarteten Mitgefühl beseelt, von dem bittersüßen Selbstmitleid, das unversehens in ihm brennt wie an den Tagen, als der Vater ihn auf dieser Schwelle hatte stehen lassen, um allein ins Watt zu ziehen, zum Hafen oder in die Bruchwiesen Richtung Dyksterhusen, wo er ein paar mickrige Fische aus den Entwässerungsgräben holte oder eine zerschossene Ente vom Firmament. »Danke!«
    Er betritt das Haus.
    Der Geruch ist überwältigend wie ein schwüles, schwammiges Monstrum, das ihn sofort wieder ins Freie zu drücken versucht, Fokko aber hält die Luft an und öffnet das Fenster neben der Tür, aus dessen Laibung er den Schlüssel genommen hat. Unversehens schaut er aus dem Haus, vor dem er eben noch gestanden hat wie ein ungebetener Gast. Es ist ein uralter Blick. Mit drei oder vier Jahren war er in der Lage gewesen, auf die Kommode zu klettern, in der die Handschuhe lagen, die Schals und die Gesangbücher, und es war, als hätte er ein anderes Land entdeckt, eines, das weder mit dem Innenleben des Hauses noch mit der Welt da draußen zu tun hatte. Dieses Fenster wurde niemals geöffnet. Zum Lüften ließ man die Haustür offenstehen, und der Blick durch die Scheibe war ein Traum in der Nacht, hatte für ihn ewig nichts mit dem zu tun, was er allmählich außerhalb seines kleinen Ichs als die Wirklichkeit begriffen hatte, die aber dennoch unzertrennlich mit ihm verknüpft war. Lange hatte er gebraucht zu verstehen, daß der Nachbar, den er durch das Fenster näherkommen sah, derselbe war, der keineswegs zufällig eine Sekunde später im Eintreten an die Haustür klopfte, meist schon, ohne Fokko zu bemerken an ihm vorüber und in die Küche gegangen war.
    Er öffnet die obere Schublade der Kommode. Handschuhe, Schals, Gesangbücher. In der zweiten Lade liegt weiße Leinentischwäsche, sauber, gebügelt und gefaltet, gewiß seit zehn oder zwanzig Jahren nicht mehr berührt. In der unteren Schublade stehen säuberlich zwei Paar schwarze Schuhe nebeneinander, die nur sonntags und bei Beerdigungen angezogen wurden, um die Eltern die wenigen Schritte zur Kirche und zurück zu tragen.
    Vorsichtig, als könnte er mit der Ordnung in der Kommode die eines höheren Systems durcheinanderbringen, schließt er die Schubladen wieder und dreht sich um. Der Spiegel an der Wand neben der Standuhr ist auch so eine verwunschene Welt, aber dahinein will er unter keinen Umständen zurück, geht geradewegs weiter, durcheilt das Bild der Küche, das klamm und kalt an den Wänden klebt, und öffnet die Tür zum Garten. Der Nordwest schnuppert für den Augenblick, den Fokko braucht, den Sturmhaken einzuklinken, an der schäbigen Gardine, dann hat er die Beute gewittert, fegt mit gehörigem Vergnügen durch das Haus, rappelt an den Schränken, pfeift durch die Ecken, treibt die abgestandene Luft vor sich her wie ein junger Hund ein verschrecktes Karnickel und knallt die

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