Die Uhr der Skythen (German Edition)
gleichmäßiger Puls legt. Der Spaten wird im Schuppen zu finden sein. Nicht mehr als eine Viertelstunde würde er benötigen, um einen Johannisbeerstrauch in der hinteren Gartenecke auszugraben, als wollte er ihn verpflanzen. Mit einer absichtslos wirkenden Gebärde ließe er die verfluchte Uhr tief ins Ende der Welt rutschen, schöbe Erde hinterher, setzte den Strauch an seinen alten Platz zurück, drückte das Erdreich fest, streute vielleicht ein paar Hände alten Laubs darüber, und den Rest würde der Regen erledigen.
Komm wieder, wenn du bleibst.
Er schließt die Uhr und steckt sie in den Rucksack zurück.
Ja und nein. Er will hier nicht bleiben und nicht weg. Will nicht zurück und dennoch sehnt er sich nach dem, was war. Er nimmt den Rucksack, geht in den Flur, schließt das Fenster und schaut sich die Standuhr an. Auf dem Glas über dem Zifferblatt liegt ein schmieriger Film. Er hat vergessen, Frau Freesemann zu fragen, wie lange Vater schon im Heim ist.
Die Uhr ähnelt der im Crocodile . Ob Eva ihn vermißt? Vielleicht geht es ihr so, als wäre ein wenig bedeutendes Möbel ausgemustert und bisweilen denkt sie noch: Stand da nicht der alte Schrank von meiner Großmutter?
Er verläßt das Haus, schließt die Tür und hängt den Schlüssel an den Nagel.
Die Glocke vom Kirchturm schlägt achtmal. Jemand geht mit knallenden Absätzen durch die Straße, eine Möwe schreit, und der Geruch nach gebratenem Fisch zieht vorüber. Er schließt das Fenster, holt aus seinem Koffer den Wälzer über das Goldene Zeitalter der holländischen Malerei und schlägt ihn an beliebiger Stelle auf.
Neben einem Seestück von Hendrick Vroom, Ansicht von Hoorn , das im morgendlichen Licht bei mäßig kabbeliger Zuidersee den Schiffsverkehr vor dem Hafen zeigt, und einem der meisterlichen Kunstwerke calvinistisch strenger Kirchenarchitektur des Malers Pieter Saenredam, Interieur der St. Odulphus-Kirche zu Assendelft , findet sich eine Marktszene von Joachim Beuckelaer mit dem schlichten Titel Fischmarkt . Im Schatten eines Torbogens hat ein Paar einen Stand aufgebaut. Der Mann steht am rechten Bildrand an einem Tisch, die Frau sitzt links an einer großen, kreisrunden Schale, in der verschiedene Fische liegen und eine kleinere Schale mit einem einzigen Fisch ruht, die sie mit übereinanderliegenden Händen festhält. Der Blick des Betrachters folgt über den Fischstand hinaus dem Verlauf einer Straße durch einen weiteren Bogen, an Häusern und Festungsanlagen vorbei bis zu einem Tor im Hintergrund, das von einem schlanken Turm bewacht wird. Es sind zahllose Menschen auf der Straße unterwegs, offenbar zu einem gemeinsamen Ziel, denn vor dem Portal einer Kirche oder eines Patrizierhauses hat sich bereits eine Menge versammelt. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Fischstand verkauft eine ältere Frau Leinentücher, zwei Ordensschwestern stehen dabei, die eine prüft die Ware, die andere schaut mit scheuem und wohlgesinntem Augenspiel nach dem Fischhändler im Vordergrund, der seinerseits einen entsetzten Blick über die komplette Bilddiagonale zu seinem Weib schickt, in eben die Richtung, in die das kolossale Hackmesser in seiner rechten Faust verweist, mit dem er just einen großen Fisch zerteilt hat. Denn die Frau läßt sich von einem anderen Mann umarmen, der eine Hand auf ihre Hände gelegt hat, die die Schale halten, die andere auf ihre Schulter. Und wie der Fremde die Fischhändlerin ins Auge gefaßt hat, bestehen kaum Zweifel an seinen Absichten: er will sie besitzen.
Sie streckt sich zwar ins Kreuz, um der Annäherung zu entgehen, erwidert auch nicht den besitzergreifenden Blick, der sie unnachgiebig von der Seite trifft, schaut beinah erheitert, mit einer ähnlich gelassenen, liebevollen Miene wie die Nonne am Nachbarstand zu dem, der zwischen Zorn und Furcht an sein Hackmesser festgewachsen ist, aber es umgibt sie schon so etwas wie ein intimes Geheimnis, von dem wohl nur sie alleine weiß, ob es ein gutes ist oder ein böses.
Das Gemälde zeigt dem ersten Blick lediglich eine Alltagsszene, in deren Vordergrund die Fische als üppiges Stilleben ausliegen. Der zweite Blick mag sich in der Geschäftigkeit und Tiefe der Straße verlieren, letztlich aber wird der Betrachter ebenso wie die Ordensfrau in die Spannung dieses Moments hineingezogen, in dem eine unselige Geschichte auf ihren Höhepunkt zukommt.
Es mag der Fremde der Ehemann sein und der Fischhändler der Liebhaber. Vielleicht ist der zudringliche Kunde
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