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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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irgendwann nimmt er wie ein Jagdhund die Fährte auf,  folgt ihr vielleicht vom Keller bis auf den Boden, aber da tritt er entschieden an ein Regal oder einen Stapel, zieht den gewünschten Band hervor, trägt ihn in sein Anschreibebuch ein und reicht ihn dir mit diesem Lächeln, das du kennst.«
    »Ja.«
    »Da sind Eintragungen in diesem Anschreibebuch, die sind zehn Jahre alt. Und wenn alle ausgeliehenen Bücher an einem Tag zurückkämen, krachte seine Volksbücherei tatsächlich zusammen.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Ich erfahre mehr als am Friseurstuhl und an der Theke zusammen. Auf dem Fluß werden die Menschen gesprächig. Keine Ahnung, wieso.«
    »Vielleicht, weil sie alles an Land lassen. Das schwere Gepäck ihrer Sorgen und Nöte.«
    Mit einer langen Bewegung, wie er die Fähre in einem rückwärtigen Bogen von der Rampe im Hafen zieht, stellt Fox die Teetasse ab.
    »Oder«, sagt er, »es liegt daran, daß sie gezwungen sind, sich dem Tempo von meinem Kahn anzupassen. Die Eiligkeit fällt von ihnen ab wie, wie…«
    »Wie Schuppen.«
    »Richtig.«
    Er nimmt die Leinwand vom Boden und legt sie auf den Arbeitstisch. Aus der Entfernung sehen die Spuren des Farbregens wie von bunten Flechten bewachsene Granateinschläge aus. Der Maler spürt ihnen jetzt mit dem feuchten Finger nach, verreibt die Konturen und gibt mit dem Pinsel aus kurzer Distanz auf ausgewählte Partien ein paar Spritzer hinzu.
    »Hast du ihn mal wiedergesehen?« fragt Fokko.
    »Ab und an kam er und wollte nach Emden. Ich hab ihm seinen alten Benz auf den Kahn bugsiert. Is ja auch verdammt eng. Er stand schlacksig und mit flatternden Anzughosen an meiner Seite und erzählte mir was.«
    »Von den alten Zeiten?«
    »Kein Wort. Nur einmal hat er eine Bemerkung gemacht. Wir beide wären Opfer dieses irrsinnigen Systems Schule. Ich und er. Aber das adelt uns, Hinrich, hat er gesagt und auf die Ems geschielt, als wäre sie der See Genezareth oder sonstwas.«
    Für einen langen Moment steht er da und betrachtet das halbfertige Bild, das ohne Meer und ohne sein skurriles Personal aussieht wie eine Trockenmauer, über der eine Tapete klebt wie die vom Rost zerfressene und von Kleinlebewesen bewohnte Gestalt eines lange versunkenen Schiffes.
    »Den mußte fragen, der kennt jeden.«
    Was sollte er den fragen, was er nicht auch ein Telefonbuch fragen könnte? Fokko stellt sich vor, er klingelte an der Zuckerbäckervilla und seine Vergangenheit öffnete ihm die Tür ausgerechnet in Gestalt des Lehrers Hamelmann. Deswegen ist er nicht gekommen.
    »Diese Merreth«, sagt Fox und stellt sein Gemälde auf die Staffelei zurück, »haste in der Stadt kennengelernt.«
    »Ja.«
    Ihretwegen ist er gekommen.
    »Ich wollte im Bahnhof nur ein Päckchen Tabak kaufen, da kommt sie mir in dem Gewühl entgegen, stolpert über einen Koffer, strauchelt und fällt mir in die Arme.«
    »Das Schicksal hat ihr ein Bein gestellt.«
    »Naja, das ist nicht so lustig, wie es sich anhört. Es war mir peinlich, und ihr auch, und wir standen für eine Sekunde voreinander, als wären wir aus einem gemeinsamen Traum erwacht. Danke, sagte sie und murmelte noch was von dem Gedränge und dem blöden Koffer, wollte schon weiter, da habe ich geistesgegenwärtig gesagt, ich heiße Fokko.«
    »Und sie?«
    »Merreth. Ich heiße Merreth.«
    »Winterboer.«
    »Hat sie nicht gesagt.«
    »Woher weißt du es dann?«
    »Also…« Fokko tritt an den Arbeitstisch und streicht dem Clown über seinen närrischen Kopf, packt ihn im Nacken und gießt ihnen frischen Tee ein. »Es war so. Sie war sichtlich im Aufbruch, die Reise stand ihr bevor, sie war nicht etwa gerade angekommen, das kann man den Menschen nämlich in den Augen ablesen.«
    »Und wie isses mit mir?« fragt Fox und schaut mit großen Augen über die Tasse.
    »Unheilbarer Fall von Rastlosigkeit«, sagt Fokko grinsend und erinnert sich, wie sehr er den Freund von Anbeginn für die unerschütterliche Gradlinigkeit bewundert hat, mit der er bei jedem Wetter gegen den zickigen Nordwest angeradelt ist, voll der Gewißheit, daß er nichts anderes als Kunstmaler werden würde, aber ebenso sicher, daß er damit keinen Pfennig verdienen, also mit der Fähre hunderttausendmal über die Ems schippern würde. Und hunderttausendmal zurück.
    »Also?«
    »Ich hab sie gefragt, welchen Zug sie nimmt. Den Halbelfer nach Amsterdam, Gleis zwölf, hat sie geantwortet. Wie jemand von der Bahn spricht. Ach, hab ich gesagt, Ibbenbüren und Rheine, und eine

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