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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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merkwürdige Sorglosigkeit hat sich meiner bemächtigt, irgend eine uralte Gewißheit, und ich sprach: meine Richtung. So sind wir zum Gleis zwölf flaniert, sie hat die ganze Zeit von dem Zufall geschwärmt, der mich an die richtige Stelle postiert hatte, ihr beinahe das Leben zu retten, wenigstens ein paar blaue Flecke zu ersparen und einen gehörigen Schreck. Es gibt keinen Zufall, habe ich gedacht und wollte es ihr sagen, aber irgendwie gab es keine Gelegenheit zur Bescheidenheit, und ehe ich mich versah, saß ich im Zug Richtung Amsterdam, in der Tasche keine Fahrkarte, im Kopf keinen Plan, nur das warme Licht aus ihren Augen, und das einzigartig zugeneigte, liebevolle Lächeln ihrer zauberhaften Lippen.«
    »Du bist nicht möglicherweise verliebt, Fokko van Steen?«
    »Ich kenn’ sie ja gar nicht.«
    »Das ist die Voraussetzung für die Liebe.«
    Fokko schüttelt den Kopf. Dennoch hat Fox möglicherweise Recht, und er ist gar wegen Eva gekommen: eine möglichst nachhaltige Distanz zwischen sich und ihre Makellosigkeit zu schaffen.
    »Jedenfalls, als der Zug abfuhr, saß ich drin und ihr gegenüber. Willste nach Amsterdam, frage ich möglichst beiläufig, sie schüttelt die eine Millionen fuchsroten Locken, kramt in ihrem Rucksack, erklärt, sie werde in Rheine umsteigen, derweil zerknallt in meinem Kopf ein Verzeichnis, in dem die eleganten Formulierungen gespeichert sind, schlagartig steht mir nichts weiter zur Verfügung als eine steinzeitliche Großhirnrinde, bin freilich so klug, keinen einzigen Laut von mir zu geben, starre mit blödem Blick dem Schaffner hinterher, der just an unserem Abteil vorüberflaniert, als wäre er selbst auf dem Weg in den Urlaub und hätte nur die Uniform vergessen abzulegen, da sagt sie, ich verschwinde mal gerade, ist schon aus dem Abteil und hat ihren Rucksack getrost und geöffnet auf der Sitzbank zurückgelassen.«
    »Und da hast du in ihren Sachen gewühlt.«
    »Nein, auf gar keinen Fall, aber ihr Kalender lag obenauf und…«
    »Und?« Fox schaut schräg zu ihm rüber.
    »Nichts weiter. Ich habe mich nur kurz rübergebeugt, die erste Seite aufgeschlagen, und da standen, wie das so üblich ist, ihr Name und ihre Adresse aufgeschrieben.«
    »Dann weißt du also, wo sie wohnt.«
    »Nein. Ich traute mich nicht mehr als diesen einen Blick.«
    »Winterboer.«
    »Ja. Und Jemgum, daß sie aus Jemgum kommt. Da war ich platt. Laufen tausend Leute im Bahnhof herum, die einem in die Arme fallen können, und es ist ausgerechnet jemand aus unserer Gegend.«
    »Und ausgerechnet ein zauberhaftes Mädchen.«
    »Ja. Da unten triffst du nie jemanden von hier. Das ist kein Zufall, Fox, das ist Schicksal.«
    »Jau«, spricht der Maler, setzt die Tasse mit einem Gestus der Unwiderruflichkeit neben die Kanne, tritt an die Staffelei und fühlt und pustet und pinselt an der Leinwand herum. »Wie ist es weitergegangen?«
    »Sie kam zurück und hatte ihr Haar mit einer Spange gebändigt. Das Winterlicht lag über dem Land wie ein Totenhemd, färbte ihre Haut kalkweiß und sterbensschön, da fragte sie mich vollkommen parenthetisch, wohin ich zu reisen beabsichtige. Mir war augenblicklich klar, daß ich mir einen illegitimen Vorteil verschafft hatte. Es war unwahrscheinlich, daß sie bis Amsterdam im Zug bleiben würde. Jemgum hätte ich sagen können, mit dem Bus nach Ditzum und zu Fuß nach Pogum, und wir wären bis weit ins Rheiderland hinein mit Erinnerungen an die gemeinsame Heimat beschäftigt gewesen. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, wäre auf dem Bahnsteig zurückgeblieben wie ein unliebsamer Verwandter, der einen zum Zug gebracht hat, aber mir kam nichts weiter in den Sinn, als einen Freund in Ibbenbüren zu erfinden, und kaum war es über die Lippen, da fuhr der Zug auch schon langsamer, sie warf mir einen Blick zu, in dem ich so was wie Anteilnahme lesen mochte, ich stand auf, wünschte lächelnd einen schönen Tag, stieg aus dem Zug, erhaschte zuletzt noch eine vage Bewegung ihrer Hand und fand mich mutterseelenallein auf dem Bahnhof von Ibbenbüren.«
    Der Maler dreht seinem Werk den Rücken zu und fragt Wort für Wort: »Das war alles?«
    »Ja.«
    »Und ihretwegen bist du nun hier?«
    »Nein.«
    »Weswegen dann?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ganz schlicht Heimweh.«
    Fox nickt, wie man sich an Kriegszeiten erinnert.
    »Wie soll es weitergehen?«
    »Weiß nicht.«
    Für einen langen Augenblick hält Fox inne, als wäre eine folgenschwere Entscheidung zu treffen, dann

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