Die Uhr der Skythen (German Edition)
abzuwarten.
Als er nach dem Frühstück seinen Tabak holt, kommt ihm die Zauberuhr in den Sinn. Er holt sie aus dem Rucksack, wiegt sie in der Hand und steckt sie ein: wie eine Waffe. Dann dreht er sich eine Zigarette, steckt sie an und verläßt das Haus. Die Kirchturmuhr zeigt kurz nach zehn. Er wartet am Hafen, schaut nach den Möwen, beobachtet einen Arbeiter, der bei Bültjer den Rumpf eines Kutters mit einem Hochdruckreiniger säubert und wartet auf die Fähre. Als sie anlegt, macht er eine Leine fest und dirigiert einen Lieferwagen vom Schiff. Fox kommt mit einer Thermosflasche von Bord, gießt sich einen Tee in den Deckel und hält ihn Fokko hin.
»Schluck?«
»Hab grad gefrühstückt.«
»Ganz schön lange geschlafen, was?«
»Wie ein Toter.«
»Gut«, sagt Fox, nimmt einen Schluck Tee und sein Blick streicht beinahe hundertachtzig Grad über den Deckelrand, als stünde er auf der Brücke eines Flugzeugträgers und halte Ausschau nach feindlichen Schiffen.
»Ist das Bild fertig?« fragt Fokko.
Der Maler nickt.
»Wie heißt es noch?«
»Förmlichkeiten bei der Begegnung von Königen.«
»Gutes Bild.«
Fox nickt abermals, schüttelt die letzten Tropfen Tee in das Hafenbecken und schraubt den Deckel auf die Flasche. In dem Moment kommt ein blauer Kombi durch das Sieltor, am Steuer sitzt eine junge, blonde Frau, Hinrich grüßt sie mit aufgestellter Hand, macht ein Zeichen mit dem Daumen Richtung Fähre, und der Wagen rollt an Bord.
»Die Lehrerin«, erklärt er. »Kommste mit für ’ne Reise?«
Als wäre er immer schon Kapitän Foxens Matrose gewesen, stellt Fokko die Bugklappe hoch, macht die Leinen los und faßt die Hafeneinfahrt ins Auge, als ginge es nun auf den Atlantischen Ozean hinaus. Hinrich bugsiert das Schiff mit einer Hand und einem Auge, parliert nebenher mit der Lehrerin, fuchtelt lachend mit einem Arm aus dem Steuerhaus und schaut immer wieder querab in das fröhliche Gesicht der jungen Frau, deren blondes Haar im Wind zappelt wie das des Pfarrers, der die Eheleute Oltmanns dereinst unter die Erde gebracht hatte.
In Petkum warten zwei Wagen und ein halbes Dutzend Fahrgäste. Fox gibt der Lehrerin, ehe sie in ihren Kombi steigt, einen Klaps auf die Schulter.
»Fährt sie häufiger mit?«
»Jeden Tag. Wohnt in Emden. Das findet ein aufrechter Ditzumer nicht so witzig.«
»Und du?«
»Wenn sie nicht in Emden wohnte, führe sie nicht jeden Tag mit der Fähre.«
»Stimmt. Aber noch sind Schulferien.«
»Stimmt auch«, sagt Fox und schaut dem Wagen hinterher.
Just, da sie auf dem Rückweg die Mitte des Flusses erreicht haben und Fox mit der immer gleich bedächtigen Bewegung des Ruders nach Backbord für das kurze Stück bis auf Höhe des Ditzumer Hafens Kurs stromauf genommen hat, reibt er sich mit dem Handrücken die Nase und nuschelt vor sich hin, ohne den Raubvogelblick auch nur für eine Sekunde aus der Fahrrinne zu nehmen, den Alten würde er besuchen. Bald.
»Ergibt sich«, antwortet Fokko.
»Oder nicht mehr.«
»Wie meinste das?«
»Du mußt da hin. Ehe der Gevatter bei ihm anklopft.« Er schaut nach achtern aus seinem Häuschen, als könnte ihm vom Dollart her Freund Hein auf den Fersen sein, dann nimmt er allmählich den weiten Bogen steuerbords auf die Hafeneinfahrt zu. »Egal, was war.«
»Such mal die Tage einen Bus raus.«
»Das Geld kannste sparen.«
»Wieso?«
»Kannst mein Rad haben.«
»Nach Leer?«
»Fuffzehn Kilometer vielleicht.« Fox grinst, drosselt die Maschine, das Schiff zieht still an einem Segler vorbei und schleicht punktgenau an seinen Anleger. Der Kapitän macht dem Matrosen ein Zeichen auf die Bugklappe.
»Und auf dem Weg nach Leer kommst du durch Jemgum.«
»Ja.«
Die Fähre liegt für eine halbe Stunde still. Fokko dreht sich eine Zigarette und schaut zur Werft rüber, wo sie den Kutter jetzt am Haken haben, Fox hat die Thermoskanne wieder rausgeholt und eine Stulle mit Kräuterquark.
»Da fragste nach deiner Merreth«, stellt er fest.
»Das hat Zeit.«
»Wieso?« fragt er und beißt in das Brot.
»Gemach, Fox! Es genügt mir zunächst, sie in meiner Nähe zu wissen.«
Der Maler macht große Augen, würgt an dem Bissen herum, spült ihn mit einem kräftigen Schluck Tee hinunter, fährt sich mit dem Handrücken über den Mund und spendiert dem Freund jenen philanthropischen Blick aus seinen klaren Augen.
»Gemach!« wiederholt er, seine Stimme freilich hat sich gehoben und der altertümlichen Vokabel eine fette Portion Sarkasmus
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