Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
Vom Netzwerk:
beigemischt. »Es genügt dir zunächst, die geraume Weile abzuwarten, bis ihr beide euch im Altenheim von Leer wiedertrefft, und es genügt dir, sie an dem selben Tisch zu wisssen, an dem auch du deinen lauwarmen Fraß löffelst, und dann eines Tages kurz vor der Demenz ist die große Stunde deines Lebens da: Sagen Sie mal, junge Frau, sind wir nicht neulich im Bahnhof von Osnabrück ineinandergerasselt und ich habe sie aufgefangen und vor dem Sturz errettet? – Neulich? – Naja, das muß so vor vierunddreißig Jahren gewesen sein.«
    Fokko vollführt ein knappes, höfliches Lachen, nimmt einen letzten Zug aus der Zigarette und schnipst die Kippe über die Reling. Äußerst selten spricht Hinrich so viel an einem Stück. Dafür sagt er nun überhaupt nichts mehr, mümmelt an seinem Quarkbrot und sein kristallklarer Blick streicht über den verstellten Horizont des Hafengeländes, als wäre der Kapitän schon wieder auf hoher See.
    »Ich denk’ drüber nach«, sagt Fokko schwach, aber es ist einerlei, was er jetzt sagt, Fox ist für eine Weile mit nichts anderem beschäftigt, als das Brot in sich zu stopfen und zu verdauen. Erst als ein Taxi und ein paar Fahrgäste mit Fahrrädern auf Deck stehen, sie zur nächsten Passage aufgebrochen und die Signallichter der Hafeneinfahrt               rot und grün an ihnen vorbeigestrichen sind, sagt Fokko möglichst beiläufig, er habe eine komische Uhr gefunden.
    »In Pogum?«
    »Nein, in Osnabrück. In einem Müllcontainer.«
    »Was machste denn da drin?«
    »Schlafen.«
    Fox lacht.
    »Hast ja merkwürdige Angewohnheiten angenommen in der schönen, großen Stadt!«
    Und Fokko erzählt emsabwärts die Geschichte der Zauberuhr, wie er selbst zuerst nicht hat glauben können und wollen, was mit dem seltsamen Ding möglich ist, wie er sich aber durch die einfachsten Experimente ganz bald hat überzeugen lassen müssen, zuletzt von seinem alten Freund Jakob Schwammheimer die Regeln des Zaubers, die Prägung auf die Uhr hat erklären lassen, und nun sei er also im Besitz dieses magischen Apparates und wisse nicht so recht, was er damit anfangen solle.
    Es fällt ihm auf, Eva kommt in seiner Geschichte überhaupt nicht vor.
    »Das soll ich glauben?« fragt Hinrich mit einem Grinsen.
    Fokko zuckt die Achseln.
    »Deswegen also bist du hergekommen.«
    »Weswegen?«
    »Weil du Probleme mit einer Uhr hast, mit der du die Zeit anhalten kannst.«
    »Du glaubst mir nicht.« Fokko schaut Fox an, der eben den Petkumer Anleger ansteuert, und wieder scheinen die Fältchen in den Augenwinkeln seines Freundes ein eigenes Leben zu führen, und er weiß wieder nicht, ob es nur der Küstenwind ist, der allezeit durch das Steuerhaus zieht oder ein aufkeimendes Lächeln, das seine Geschichte in Zweifel ziehen, aber auf keinen Fall verhöhnen wird. Da aber hat Fokko die Uhr schon in der Hand und öffnet sie.
    Die unvergleichliche Stille ist augenblicklich zurück, mit ihr auch die komplexe Geschichte des Zeitstillstandes, Schwammheimers Begehrlichkeiten, Evas Uneigennützigkeit und eine unbestimmte Angst davor, im Stillstand der Welt einer epochalen Einsamkeit ausgeliefert zu sein.
    Der Wellenschlag des Schiffes klebt am Beton des Anlegers wie aufgeklebte Teichfolie, die Deutschlandfahne am Heck ist auf den hellgrauen Himmel gedruckt, eine Möwe daneben, nur die Haube der Petkumer Kirche ist, was sie seit Jahrhunderten ist. Er könnte jetzt das Rettungsboot mit Hilfe des Ladebaums in das Hafenbecken setzen, hinunterklettern, nach Ditzum zurückrudern, sich am Sieltor auf eine der Bänke setzen, die Uhr wieder schließen und darauf warten, daß der ratlose Freund hinterherkäme. Es ist ihm jedoch zuwider, und er schließt die Uhr. Nichts ist geschehen. Der Schiffsdiesel tuckert, die Möwe stößt einen grellen Schrei aus, und die Stundenglocke der Kirche schlägt dreimal.
    Die Fähre kommt mit einem sanften Ruck zum Stehen. Hinrich geht nach vorn, macht die Leinen fest und öffnet die Bugklappe. Als er sich dreht, den Fahrradfahrern ein Zeichen macht und dem Taxi mit ausgestrecktem Arm bedeutet, daß es noch einen Augenblick zu warten hat, öffnet Fokko die Uhr, schlüpft zwischen den an Deck eingefrorenen und den am Anleger wartenden Fahrgästen hindurch, klettert auf das Postauto, das in der Zufahrt steht, schließt die Zauberuhr und ruft und gestikuliert, bis Hinrich ihn entdeckt und ihm über die Entfernung einen Vogel zeigt. Das muß reichen. Er öffnet die Uhr, geht den Weg zurück

Weitere Kostenlose Bücher