Die Uhr der Skythen (German Edition)
an Bord, stellt sich an die Seite des Freundes, schließt das Zauberinstrument und läßt es in der Hosentasche verschwinden.
Hinrich gibt dem Taxi ein Zeichen und reibt sich die Augen. Drüben ist der Postbeamte aus seinem Wagen gestiegen, diskutiert mit einem Radfahrer und befühlt das Dach seines Wagens wie wunde Haut.
Mit ungnädigen Armbewegungen scheucht der Kapitän die nächste Fuhre auf sein Schiff, gibt dem Leichtmatrosen das Zeichen zum Ablegen, und der hat die Leinen noch in der Hand, da ruckt die Fähre schon achtern weg, dreht sich steuerbords, hat mit einemmal alle Gelassenheit verloren und stampft Richtung Ems, als müßte sie die Fahrgäste unter einem Vulkanausbruch evakuieren. Der Postbeamte tritt mit leutseligem Gesichtsausdruck an die Backbordseite des Ruderhauses. Hinrich tippt an die Kapitänsmütze, nickt mal kurz und schiebt das Fenster zu. Auf der anderen Seite steht Fokko.
»Was soll ich machen?« fragt er.
»Das Ding in die Ems schmeißen.«
»Ist aus Holz, das schwimmt doch.«
»Zeig mal her!«
Er zieht die verwünschte Kostbarkeit aus der Hose und reicht sie dem Kapitän rüber wie Schmuggelgut, das in der Mitte des Grenzflusses den Eigentümer wechselt. Hinrich wirft einen flüchtigen Blick auf die Uhr, wiegt sie in der Hand und schüttelt den Kopf.
»Das schwimmt nicht.«
»Trotzdem«, sagt Fokko und steckt das Ding wieder weg. »Wenn da ein neugierger Fisch langschwimmt und die Uhr anhält, bin ich allein auf dieser Welt und kann bestensfalls da runtertauchen.«
Hinrich grinst.
»Das versuch mal!«
»Wie wird man denn diese unbegreifliche Macht wieder los?« Fokko hat das Zauberding in der Hand, klappt es auf, um nach dem Stand der Scheiben zueinander zu sehen, er ist auf der Stelle taub, die Welt hinter einer doppelten Tür verschwunden, und das Wasser der Ems scheint vor tausend Jahren zu einem vulkanischen Feld erstarrt. Die Scheiben der Uhr stehen offenbar unverändert zueinander. Schwammheimer hat mit seiner Kamera ein Bild gemacht. Fokko sieht vor dem inneren Auge, wie der dubiose Freund den Ausdruck des Fotos in der Schublade seines Schreibtisches hat verschwinden lassen. Er schließt die Uhr. Sie scheint ihm gefährlicher zu sein, als er gedacht hat. Müßte sie nur möglichst weit über die Reling halten, mit einem entzückenden Gluckser in der Ems verschwinden lassen und auf der Stelle vergessen.
»Grab es ein!«
»Hab ich auch schon gedacht…«
»In Pogum, auf dem Friedhof.«
Fokko nickt schwerfällig, steckt die Uhr in die Hosentasche und schaut sich um. Alles ist wunderbar normal. Der Fluß fließt voller Ruhe dem Schiff entgegen, das grüne Land liegt an den Rändern, als wäre es nicht bewohnt, und über allem steht ein grauer Himmel wie ein großer Karton, in dem die Welt verpackt ist.
Es kommt ihm vor, als nähme er mit der Fähre an diesem Tag den großzügigen Bogen in den Ditzumer Hafen zum hundersten Mal. Fox drückt den Maschinenhebel zurück, führt das Steuerruder mit einem Finger, der Diesel grummelt friedlich im Schiffsbauch, nur die Armaturen zittern kaum sichtbar, bis das Schiff sich sorgsam gegen die Poller legt und der Kapitän die Maschine stoppt.
»Fox«, sagt Fokko, »ich glaube, irgendwie bin ich jetzt angekommen.«
»Hier ist man immer angekommen.«
»Wahrscheinlich war es ein Fehler, überhaupt wegzugehen.«
»Wahrscheinlich.«
»Schwamm meint, man könnte mit der Uhr einiges anfangen, man müßte es sogar.«
»Hat er Recht. Aber man kann es auch lassen. Deinen Alten solltest du besuchen, ehe ihn der Schnitter holt.«
»Wahrscheinlich.«
Fox gibt ihm einen Klaps auf die Schulter und geht nach vorn.
»Muß die Leute mal von Bord lassen.«
Am Nachmittag geht er nach Pogum, um das Rad seiner Mutter zu holen. Er reinigt es, schmiert die Kette, zieht die Bremse nach und pumpt es auf. Jedes Werkzeug findet sich genau dort, wo es vor dreißig oder vierzig Jahren zu finden war.
Am frühen Abend radelt er zurück. Der Himmel hat einen Riß, durch den ein verlorener Sonnenstrahl auf einen Schuppen fällt, als wäre in ihm soeben der Erwählte geboren. Die Leichtigkeit der Bewegung, der Fahrtwind, die Balance: es ist, als hätte Fokko die Kindheit zurückgewonnen.
Kapitel 10
Kaum daß er die letzten Häuser von Ditzum hinter sich gelassen hat, ist es, als führe er wie jeden der ungezählt vergangenen Tage zur Schule, nur Fox fehlt an seiner Seite, das Raubvogelgesicht geradewegs in den Fahrtwind gestreckt, als hielte er
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