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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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und nickt. »Allerdings…«
    »Nun?«
    »Wie vollzieht sich dieser Zugriff überhaupt?«
    »Wie in jeder Bibliothek. Man benötigt eine Fragestellung. Für einen Amazonasindianer, der noch nie in seinem Leben von einem Buch gehört, geschweige denn je eines gesehen hat, wäre eine Bibliothek, durch die man ihn führt, wahrscheinlich nichts anderes als eine spezielle Art des Urwaldes.«
    Hamelmanns Hände drehen sich in der Luft und seine Zeigefinger richten sich auf Fokkos Augen aus.
    »Ich gebe Ihnen ein Exemplum, Steen. Erinnern Sie sich an die Klassenfahrt, die wir nach der Insel Borkum gemacht haben, seinerzeit? Die Fähre macht eben am Anleger der Insel fest, die Passagiere warten geduldig für den letzten Moment, ehe sie das Schiff verlassen werden, da steht nahe des Bugs an der Reling ein Mädchen unserer Klasse, schaut auf die sonnige Insellandschaft und die bunte Menschenmenge, die alsbald die Rückreise an das Festland antreten will, da kommt eine freche Windbö daher, nimmt ihr den Strohhut von ihrem hübschen Kopf, trägt ihn eine Weile in eleganten Bögen durch die Luft, ehe er ihn sanft auf das Wasser absetzt. Was geschah dann?«
    Fokko zieht die Schultern hoch.
    »Denken Sie nach!«
    »Keine Ahnung.«
    »Wirklich nicht? Das Mädchen trug ein hellblaues Kleid, welches recht neckisch in dem hibbeligen Küstenwind flatterte. Das dürfte Euch hormonell überdosierten Jugendlichen damals wohl kaum entgangen sein.«
    Fokko schüttelt den Kopf.
    »Nun ja, das beweist es genauso gut.«
    »Was?«
    »Wenn ich davon ausgehe, daß der Katalog Ihrer relativ jungen Bibliothek korrekt geführt wird, so haben Sie die Geschichte weder erlebt noch können Sie sie erinnern.«
    »Wahrscheinlich. Und was beweist das?«
    »Es funktioniert auch im negativen Falle. Sie haben das Bild nicht gespeichert.«
    »Natürlich nicht.«
    »Auch daraus kann ich Schlüsse ziehen.«
    »Und welche?«
    »Es war wohl eine andere Klassenfahrt, ein anderer Jahrgang.«
    Eine sonderlich aufregende Schlussfolgerung scheint ihm das nicht zu sein, vermutlich ist des Lehrers Bibliothek nach achtzig Jahren ein wenig eingestaubt, und da Fokko nach der Wendung sucht, die das eigenartige Gespräch beenden könnte, hat Hamelmann offenbar eine gefunden, jedenfalls greifen die Hände das Buch auf dem Zaunpfahl, der Blick sucht den Rundweg um seine Villa, und seine über Jahrzehnte erprobte Stimme spricht deutlich und im Tonfall der Endgültigkeit: »Falsifizieren nennt man das, Steen!«
    Jau, könnte er wie ein Rheiderländer Bauer sagen oder schweigen wie ein Schlickfischer, aber falsifizieren, so will es ihm in den unaufgeräumten Kopf, heißt doch auch und erst recht fälschen?
    »Mag sein«, sagt er leise, und Hamelmann, der bereits mit einem Fuß auf den Weg des Breviers zurückgekehrt ist, verlangsamt kaum spürbar den ersten Schritt. »Vielleicht war ich dabei und doch nicht Zeuge.«
    Mit einer seltsamen Drehung vollführt der Hohepriester einen liturgischen Ausfallschritt und legt sein Gebetbuch auf den Pfahl zurück.
    »Wie das?«
    »Vielleicht war es doch die richtige Klassenfahrt. Nur stand ich nahe des Hecks an der Steuerbord-Reling, schaute auf das Borkumer Fahrwasser und die Emsmündung zurück, weil ich fürchterliches Heimweh hatte. Und das Drama des Strohhutes ist mir leider von vorn bis hinten entgangen. Kein Wort, kein Bild, nichts hat sich in das große Buch meiner Bibliothek eingeschrieben.«
    Hamelmann schaut ihn an, grinst und schüttelt den Kopf.
    »Das geht nicht.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil die Geschichte weitergeht.«
    »Und zwar?«
    »Irgendwie hatte jeder das Malheur des Mädchens miterlebt. Möglicherweise, weil jeder es an der vorderen Backbord-Reling hat stehen sehen in seinem flatternden Fähnchen. Es dauerte jedenfalls keine zehn Sekunden, nachdem der Hut sich beschaulich vor dem Schiff niedergelassen hatte, da sah man einen Schatten vom Mitteldeck in das trübe Wasser der Reede zischen, für einen langen Atemzug geschah überhaupt nichts, dann tauchte Heiko Hartema auf, griff sich den Hut, schwenkte ihn juchzend, kletterte aus dem Hafenbecken und überreichte der Prinzessin ölig und tropfnass die goldene Kugel.«
    »Das beweist nichts.«
    »Doch. Wer es nicht gesehen hat, hat davon gehört. Es war Thema für die ganze Woche auf Borkum, weil Heiko Hartema offenbar gedacht hatte, als ritterlicher Kavalier hätte er irgendwelche Rechte bei der Schönen erworben. Ihr wurde er aber alsbald ziemlich lästig, und sie hat ihn

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