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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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vermutlich ans Festland und den Strohhut ins Fahrwasser der Fischerbalje zurückgewünscht. Erst als sie ihm sozusagen zum Dank eine saftige Ohrfeige bescherte, hat er wohl begriffen, daß seine großartige Geste ihm nicht mehr eingebracht hat als eine Garnitur verdreckter Kleidung.«
    »Und die Ohrfeige.«
    »Richtig.«
    »Das Mädchen war Fentje Akkermann«, sagt Fokko und schüttelt den Kopf. »Seit ewigen Zeiten hatte ich mich in sie verguckt. Schielte ihr auf dem Pausenhof hinterher, ging ihr auf dem Heimweg in gehörigem Abstand nach und träumte die wildesten Sachen. Aber sie würdigte mich keines Blickes. Und als ich sie an jenem Tag an der Reling stehen sah, kurz bevor wir für eine Woche die Insel Borkum betreten sollten, habe ich mir ein Herz gefaßt, wollte eben neben sie treten, sie möglichst unverfänglich in ein möglichst witziges Gespräch verwickeln, da kamen mir der Wind und Heiko Hartema dazwischen, alles war auf der Stelle vollkommen anders, das Schicksal schlug die Tür, die es mir just einen Spalt weit geöffnet hatte, eisenschwer und endgültig vor meiner Nase zu, ich schlich heckwärts und steuerbords, schaute so weit wie möglich die Ems hinauf und hatte binnen Sekunden alles vergessen, gelöscht und überschrieben.«
    In Hamelmanns Augen steht ein triumphierendes Leuchten.
    »Sehen Sie, Steen, das beweist es! Es reicht ein schlichter Impuls, die alten Schriften ans Licht zu holen. Eine Datei ist niemals gelöscht, allenfalls ist der Zugriff versperrt. Was ich sage! Die Tür, die Ihnen das Schicksal so harsch vor die Nase geknallt hat, war bis heute mit den zuverlässigsten Schlössern gesichert: Enttäuschung, Eifersucht, Kränkung. Aber sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund.«
    Fokko nickt.
    »So hätte es jedenfalls sein können.«
    »Wie bitte?«
    Fast tut es ihm jetzt leid, daß er den alten Herrn in die Irre geführt hat.
    »Es war nicht so. Heiko war nicht mein Jahrgang. Fentje Akkermann ebenfalls nicht.«
    »Sondern?«
    »Zwei Jahre älter. Beide.«
    Für einen unsicheren Moment, den er das Brevier mit beiden Händen umfangen auf dem Zaunpfahl festhält, scheint Hamelmann zu schwanken: als hätte ihm jemand verdeutlicht, daß jedes Wort, das er gesprochen, jede Zeile, die er gelesen und jeder Schritt, den er in seinem langen Leben getan hat, falsch gewesen sein muß, vergeblich, lächerlich sogar. Das aber, so kann Fokko es jetzt in seinen Zügen lesen, kann nicht sein.
    »Dies brächte uns an die Essenz des Phänomens«, sagt Hamelmann vertraulich, greift das Buch und löst sich mit einem Schritt vom Zaun, »die Zeit indes, die in dieser Geschichte eine nicht eben unbedeutende Rolle spielt, rennt uns augenblicklich davon.«
    »Ja«, sagt Fokko.
    »Mögen Sie mich zum Tee beehren, damit wir die kleinen philosophischen Betrachtungen fortsetzen?«
    »Sehr gern!«
    »Nächsten Donnerstag, fünfzehn Uhr dreißig.«
    Er kommt nicht mehr dazu, die Verabredung mit einem Nicken zu bestätigen, Hamelmann hat sich gedreht und ist mit wenigen Schritten auf die Umlaufbahn seines Stundengebetes zurück. Fokko will nicht warten, bis der alte Hexenmeister von der Gartenseite her wieder auftaucht, so macht er sich mit dem Rad auf den Weg nach Pogum. Unterwegs steht ihm Fentje Akkermann vor Augen, ihr makelloser Körper von einem himmelblauen Stück Stoff umflattert, die linke Hand hält die Balance an der Backbord-Reling, die rechte greift nach dem Strohhut, der mit dem Wind auf und davon ist. Fokko ist ihr sehr nahe, sie ist einige Male kurz davor, sich zu ihm umzudrehen, aber immer wieder kommt etwas dazwischen, der Lautsprecher der Reederei, der die Fahrgäste bittet, das Schiff nicht über die Rampe für die Kraftfahrzeuge zu verlassen, eine eiskalte Bö, die ihm hinter der Critzumer Kirche auflauert, am Ende Heiko Hartema, der wie ein Sack Zement über Bord geht. Ein einziges Mal schenkt sie ihm einen flüchtigen, wahrscheinlich vollkommen bedeutungslosen Blick von der Seite, das blonde Haar flattert wie verrückt über ihre sommersprossige Haut, in ihren blauen Augen steht eine tiefe, unerfüllte Sehnsucht, aber das alles ist wohl weniger Erinnerung als Imagination.
     
    In die Ecke der Glasscheibe des Küchenschranks steckt er einen Notizzettel: Hamelmann, 13.1. – 15.30 Uhr. Dann macht er sich eine Kanne Tee und ein paar Marmeladenbrote, setzt sich an den Küchentisch, ißt, trinkt und denkt nach.
    Er wird nicht viel verändern, wenigstens nicht sofort. Wird keine Wände

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