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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Faktor belegt, der genau die Freiheit, für die er wirbt, beschneidet.«
    »Was meinst du damit?«
    »Wieviele Kinos gibt es in Jemgum?«
    »Keins mehr.«
    »Keins? Naja, dann werdet ihr euch nach Leer bequemen müssen oder nach Emden, aber nach der Abendvorstellung kommt ihr nicht mehr trockenen Fußes über den Fluß.«
    »Richtig.«
    »In Osnabrück gibt es vier Kinos. Drei von ihnen sind in Wirklichkeit sechs oder gar zehn Kinos. Und ich schätze, da ist keines dabei, in dem pro Tag nur ein Film gezeigt wird. Es werden wohl an die sechzig oder siebzig Vorstellungen angeboten, an sieben Tage in der Woche, das ganze Jahr. In einer kleinen Großstadt.«
    »Und was hat das mit der Freiheit zu tun?« fragt sie.
    »Es gibt alles nicht nur doppelt, sondern dutzendfach. Das suggeriert den Menschen die vermeintliche Freiheit. Sie können jederzeit einen Film nach ihrem Geschmack finden und sogar ungefähr den Zeitpunkt bestimmen, zu dem sie ins Kino gehen. Was sie wohl kaum reflektieren, ist die Abhängigkeit, in die sie geraten sind.«
    Merreth trinkt ihren Kaffee aus, wirft einen schnellen Blick aus dem Schaufenster auf die verklinkerte Jemgumer Welt da draußen, dann nickt sie versonnen und schaut ihm in die Augen. Sie hat alles schon verstanden, denkt Fokko, ich muß es ihr eigentlich nicht mehr erklären, aber natürlich tut er es dennoch.
    »Es gibt außerdem dreißig Kanäle im Fernsehen, zwanzig Radioprogramme, Theater und Ausstellungen, Live-Musik, Konzerte und eine Hundertschaft von Kneipen, in denen man immer auf gutgelaunte Menschen trifft. Alles, was einen Menschen bewegen könnte, gibt es in krankhaft gigantischer Auswahl, es gibt wahrscheinlich zwei Dutzend Schuhgeschäfte in der Stadt, und in jedem stehen Hunderte von Paaren. Und alles soll jederzeit verfügbar sein. Aber wer kauft sich nachts um halb drei eine Waschmaschine?«
    Merreth schaut ihn etwas ratlos an. Er nimmt die Kaffeetasse an den Mund und setzt sie sogleich wieder zurück.
    »Was ich sagen will, Merreth«, sagt er eilig und es kommt ihm vor, als müßte er seinen Worten eine entscheidene Wendung geben, wie ein Staubsaugervertreter vielleicht, dem just bei der Vorführung seines neuesten Modells der Staubbeutel geplatzt ist, »plötzlich breitet sich in dir wie eine schleichende Krankheit das permanente Grundgefühl aus, was zu verpassen. Und natürlich verpaßt man immer etwas und immer weitaus mehr als man erleben kann. Man ist eigentlich niemals mehr lediglich bei sich, sondern immer auf der Suche nach einer diffusen Verbesserung seines Selbsts.«
    Merreth nickt nachdenklich.
    »Das verstehe ich«, sagt sie und Fokko erklärt es ihr dennoch, vergleicht das aufgeregte Leben in der Stadt mit einem Stall voller Schweine, die übereinander herfallen, um an die Tröge zu gelangen, macht sich über die schrillsten Protagonisten lustig, an die Oberfläche des öffentlichen Bewußtseins gespülte Narren, in Ditzum aber achte niemand darauf, was jemand anhat, weil er den anderen an seinem Gesicht erkennt. An jeder Ecke spalte sich der Weg, den man komme, in drei neue, von denen jeder an die nächste Ecke führe, wo sich alles weiter und immer weiter bis ins Absurde verzweige, so gebe es ungezählte Wege, in der Stadt wahnsinnig zu werden. Alles beginne, sagt er, mit einer konturlosen Unruhe, in die man unmerklich hineinwachse, das entwickle sich wie ein langsamer Virus in den Beziehungen der Menschen, sagt er, aber von der Zauberuhr und von Eva sagt er nichts.
    »Ja«, sagt sie still, als er ein Ende gefunden hat, »ich kenne das«, tritt an den Tresen und bezahlt. Fokko bedankt sich voller Verlegenheit für den Kaffee, unversehens steht ihm im Sinn, er hätte sie einladen müssen und vor allem vor viel zu vielen Worten schützen, aber sie schenkt ihm noch ein Lächeln obendrein, und als sie vor der Bäckerei stehen, sein Rad zwischen sich und eine zähe Unschlüssigkeit, da kommen ihm die richtigen Worte in den Sinn, ohne daß er einen angestrengten Gedanken verschwenden müßte.
    »Darf ich dich nach Hause begleiten?« fragt er sie. »Es liegt doch am Weg.«
    Die Frage, denkt er sofort, war richtig, die Begründung kommt ihm indessen vor wie eine Abschwächung, eine Verirrung, aber bevor sich diese Idee in seinem Kopf ausbreiten und virulent werden könnte, greift Merreth um den alten Lenker seines Fahrrades, als wäre es seine kaum zehn Zentimeter entfernte Hand.
    »Gern«, sagt sie mit einem herzergreifenden Lächeln, in ihren Augen glitzert,

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