Die Uhr der Skythen (German Edition)
der Fischfrau des niederländischen Meisters als sonst eine von hundert Rheiderländer Frauen, das lockige Haar gewiß, das die Marktbeschickerin in der feuchten Salzluft straff zurückgebunden hat, dieser schöne Stolz vor allem, eine vornehme Selbstgewißheit, die auch in der Bedrängnis noch ein Lächeln in ihrem Blick bewahrt, das er jetzt auf Merreths Lippen wiederfindet.
»Am Dienstag«, spricht unversehens jemand mit heiserer Stimme, der mit ihm denselben Körper zu bewohnen scheint, »habe ich Geburtstag.«
Sie nickt, sie lächelt und streicht nun vollkommen selbstverloren mit ihrer rechten Hand über die beiden kleinen Finger der linken Hände, die in Einmütigkeit auf der Lenkstange umschlungen liegen, so, als würden sie irgendetwas symbolisieren. Sie weiß es natürlich. Sie ist ja die Meldebehörde, wie sollte sie nicht von allen Geburtstagen, Abstammungen und Adressen wissen?
»Ich möchte dich einladen«, sagt er. »Zu einer kleinen Feier. Da zeige ich dir das Bild.«
»Gern.«
»Adresse kennst du ja.«
»Ja.«
»Heute in einer Woche.«
»Der erste Februar.«
All die Worte bekommt er nur heraus, weil sie ihm die ganze Zeit über die siamesischen Finger streicht, als würde sie ihn beatmen. Sie ist ihm nähergekommen, ihr Gesicht liegt jetzt im Schatten der wildgewordenen Haare, er fühlt ihren Atem in der kalten Luft, aber er hat keine Ahnung, wie er sich verhalten soll, spürt wohl ein kryptisches Verlangen, es ist ihm jedoch stark verdächtig, droht ihm mit unguten Erinnerungen, wird ihn auf eine falsche Fährte locken, in einen feuchtklammen Finsterwald, in dem er sich wieder heillos verlieren wird. So greift er ihre Hand, die eben im Begriff steht, mit mehr Nachdruck auf größere Gefilde seiner Haut vorzudringen, drückt sie, als besiegelte er eine Ummeldung, nächsten Dienstag also, stammelt er und stürzt sich auf sein Rad, als wäre ihm eingefallen, daß er daheim Herd, Bügeleisen und Kochmaschine angelassen hat.
Sie ruft ihm etwas nach, was er nicht mehr versteht, aber er hört den Klang ihrer Stimme, die ihm nachkommt wie ein heiteres Versprechen. Und hinter der nächsten Ecke liegt das Glück auf der Lauer wie ein übler Strauchdieb, will ihn anspringen, setzt ihm nach, treibt ihn mit einer angriffslustigen Entschlossenheit den Deich hinauf, hockt wie ein Verrückter auf dem Gepäckträger und droht, ihn in schlingernder Fahrt in den nachtschwarzen Fluß zu stürzen.
Erst auf der Höhe von Hatzum geht ihm die Luft aus, er rollt in das Dorf, am unförmigen Kirchturm vorbei, der immer aussieht, als hätte ihn jemand in die Marschwiese gedrückt, nimmt jetzt für den Rest des Weges die Landstraße in einem gemächlicheren Tempo, der irrsinnige Kobold auf dem Gepäckträger hat sich ein wenig beruhigt, schaukelt nicht mehr wie wild, aber er ist immer noch in seiner Nähe, und Fokko kann sich nicht anders helfen als mit Hunderten von sinnlosen Worten, die er atemlos in die kalte Nacht spricht.
»Ich werde von der Uhr nichts sagen«, verspricht er sich, als er schon zwischen Ditzum und Pogum auf dem ältesten der Wege ist, »ich werde das Haus aufräumen und putzen, habe noch eine ganze Woche für die Vorbereitungen und brauche unbedingt einen Plan.«
Spät feuert er die Kochmaschine an, noch in der Nacht sitzt er am Küchentisch, hat einen Briefbogen gefunden mit den verschnörkelten Initialien seines Vaters, uraltes Bütten, das der Alte sich auf einer Kaffeefahrt nach Greetsiel hat verkaufen lassen, die Mutter hat ihn ausgelacht: einem feinstes Schreibpapier anzudrehen, der sein Lebtag nichts geschrieben hat als seinen Namen bei der Sparkasse und seinen Stundenzettel in der Werft.
Mit dem Stift fährt Fokko das Monogramm nach: CvSt .
Dann schreibt er: Kartoffelsalat.
Die wenigen Tage gehen dahin wie die Tage zuvor, und doch liegt unter allem eine stille Genugtuung, die Gewißheit, daß sich wieder einmal etwas ändern wird in seinem Leben, anders als vor Jahren, da er in die Stadt aufgebrochen war, sehr viel anders als in den Zeiten der aufblühenden Tankstelle, als er sich unversehens in den Armen einer blonden Frau fand, deren Zärtlichkeiten er als ein absolut rätselhaftes Phänomen erlebte, aber er spürt, es verbietet sich jeglicher Vergleich zwischen Eva und Merreth. Er weiß es plötzlich gewiß: es wird vollkommen anders sein, vor allem auch die körperliche Berührung, die in der Lage ist, sich mit zwei Quadratzentimetern zu begnügen.
Das Glück hat sich kurz
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