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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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gezeigt und seine Ankunft versprochen, und zwischendrin bringt es sich dezent in Erinnerung, als Merreth am Freitag von der Meldebehörde aus anruft und fragt, um welche Uhrzeit die Feier begänne am Dienstag. Um acht Uhr, bringt er nur hervor, sie bedankt sich und hat schon aufgelegt, um sich dringenden Amtsgeschäften zu widmen. Er schaut den Apparat an, als könnte der sonst was für Wunder wirken, und als er aus der Küchentür in den Garten geht, um nach dem Wetter zu sehen, spürt er es wie eine aufkeimende Krankheit im Bauch.
    Am Morgen seines Geburtstages erwacht er aus einem Traum, den er nur auf eine einzige Art zu deuten weiß. Er streunt am Strand entlang, entdeckt ein paar Schritte weit raus ein Stück Treibgut, noch vor der ersten, flachen Brandungswelle, als er sich aber eben bückt, um nach dem wundervoll polierten Stück Schiffsplanke oder Reling zu greifen, das einst vielleicht zu einer niederländischen Fleute gehört hat oder zu einem Fregattschiff, das vor hundertfünfzig Jahren in der Nordsee vom Blanken Hans überfallen wurde, da zieht ihm eine tückische Welle die Füße unter dem Leib weg, er sinkt unnatürlich langsam und mit einer merkwürdigen Drehung ins Wasser, das mit einemmal nicht länger seicht und ruhig an den Strand rollt, es schlägt hart über ihm zusammen und reißt ihn jäh in eine endlose Tiefe. Für eine lange Zeit schwebt er still in eine dichter werdende Finsternis hinab, keine Angst bemächtigt sich seiner, keine Atemnot, und wie ein Fallschirmspringer an einem lauen Sommertag landet er sicher auf dem Grund der See neben einem Zaun auf einem Weg, der dort unten geht, parallel dazu verläuft ein sanfter Meeresrücken, als wäre es ein Deich in den Abgründen des Ozeans. Er steht da für eine Weile, dann schaut er auf und dem Weg voraus und entdeckt in einiger Entfernung die Dächer und den Kirchturm von Pogum. Als hätten nun die Elemente die Rollen getauscht, als wäre nun Wasser Luft, geht er auf dem Meeresgrund nach Hause, ausgestorben sein Pogumer Atlantis, da er jedoch das Haus betritt und die Küchentür öffnet, sitzen dort seine Eltern am Tisch, die Mutter lächelnd mit einer Handarbeit beschäftigt, der Vater legt eben die Zange aus der Hand, und das kurze, metallische Geräusch, das er damit verursacht, läßt Fokko erwachen.
    Er geht in den Flur und schaut nach der Standuhr. Viertel nach neun. Er hat den halben Geburtstag verschlafen, aber für den Abend ist alles vorbereitet und es gilt nur, die Zeit bis dahin verfließen zu lassen, als würde er auf nichts warten.
    Also macht er sich nur einen kleinen Tee, schmiert sich ein Brot mit Holundergelee, den seine Mutter noch gekocht hat, stellt Futter für die Katze vor die Gartentür und kaum ist es zehn Uhr, schwingt er sich auf das Rad. Den Bus nimmt er heute schon ab Ditzum, um sich in Jemgum nicht allzu lange vor dem Rathaus aufzuhalten, denn wenn er ihr vor dem Abend begegnete, bestünde die Gefahr, daß sich alles anders entwickelt, als er es sich in wiederkehrenden Phantasien ausgemalt hat. So gönnt er der Meldebehörde keinen Blick, schließt im Vorüberfahren für einen erschöpft oder desinteressiert anmutenden Moment die Augen, und als er sie wieder öffnet und aus dem Busfenster schaut, ziehen schon die Oldendorper Felder vorüber, bedeckt von einem seidigen Hauch Rauhreif, den die Nacht hinterlassen hat. Das Wetter hat sich gedreht. Ein paar dünne Wolken ziehen mit der Ems davon und ein vorsichtiger Wind kommt von Osten. Es wird Frost geben, gottlob.
    Der Vater schläft. Liegt da wie tot mit der fleckigen, grauen Haut und dem weggefallenen Gesicht. Seit der Arzt ihm eine Magensonde gelegt hat, weil er ihn ja schlecht verhungern lassen könne, wie er frohgemut und rotgesichtig verkündet hatte, will der alte Mann die Zähne nicht länger wie eine Mähre das Zaumzeug im Maul, und als Fokko ihn mehrfach angesprochen hat und der Alte mit dem zahnlosen Schlund verwirrt gähnend erwacht ist, als käme er ein allerletztes Mal ins irdische Leben zurück, da denkt der Sohn, nichts wäre gnädiger, als wenn der Vater noch in dieser Stunde das Zeitliche segnete.
    »Ich habe heute Geburtstag«, sagt er möglichst beiläufig, so, als würde er davon reden, daß das Wetter umschlägt, tritt an das Fenster, reißt es auf und wirft einen Blick hinaus. Das Wasser des Nebenarms der Ems ruht wie ein beschlagener Spiegel in seinem Bett, die Böschungen sind in den Schattenecken vom Rauhreif überzuckert, und der Wind

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