Die Uhr der Skythen (German Edition)
sie.
»Schietwetter.«
»Klart es noch auf?«
»Heute wohl kaum.«
In der Nacht, in der sie sich für den heutigen Tag verabredet haben, waren etwa fünfzehn Zentimeter Schnee gefallen. Pogum war am nächsten Tag ein abgeschiedenes Idyll, Fokko hatte vor der Tür nur ein wenig gefegt, ansonsten war er im Haus geblieben, hatte Holz sortiert und ein Buch über Barockmusik gelesen. In der darauffolgenden Nacht hatte der Wind wieder einmal gedreht und die gewöhnliche Wetterlage zurückgebracht, Regen und Sturm vom Nordatlantik, naßkalte Plusgrade, die dem Zauber binnen Stunden ein rasches Ende bereiteten, und der Wintereinbruch wäre nichts weiter gewesen als eine belanglose Wetterkapriole, wenn nicht der alte Dünenbroek in jener Nacht mit der neuen, ziemlich teuren Limousine bei Dyksterhusen auf dem tauenden Schnee in Rutschen geraten und mit der Schnauze in einem Entwässerungsgraben gelandet wäre. Er hatte wohl, so erzählte man am Hafen, ausreichend getankt, und schlau, wie er ist, schlidderte er den Weg durch den Matsch in sein Gasthaus zurück, schlief in einem der Gästebetten, die zu dieser Zeit ohnehin vakant sind, seinen Rausch aus und spazierte frühmorgens, den straffen Wind an seiner Seite, zu seiner Staatskarosse zurück, die noch immer beleidigt im Graben steckte, rief mit dem Handy die Polizei, den Abschleppdienst und ein Taxi aus Bunde, das ihn am Ende nach Hause fuhr.
»Hast du dich entschieden?« fragt Merreth.
Er weiß nicht, wie er jetzt auf den alten Dünenbroek kommt, er kannte ihn schon als den jungen Dünenbroek, der immer einen schnittigen Wagen vor der Tür seines Gasthauses stehen hatte, dem die Mädchen aus dem Rheiderland hinterherliefen, und am Ende hat er die Schönste erwählt, Tine aus Bunde, Tochter eines Beamten bei der Schifffahrtsbehörde in Leer, die steht noch alle Tage in der Küche an riesigen Pfannen mit Bratkartoffeln und ihre Schönheit ist längst durch die Dunstabzugshaube verflogen.
»Fokko?«
»Ja.«
Dünenbroeks jüngste Schwester kommt ihm unversehens in den Sinn, zwei Jahre älter als er, die ging noch ein Jahr mit ihm gemeinsam zur Berufsschule, hat Bäckerin gelernt und ihn eines Nachts beim Dorffest gegriffen wie man einen Teigklumpem nimmt, wenn man einen Brotlaib kneten will. Ihre kalte, feste Hand zog ihn hinter das Kinderkarrussel und zwischen den auf Reede liegenden Booten hindurch auf die Rückseite der Werft, wo es eine Stahltür gibt, zu der sie woher auch immer den Schlüssel besaß und ihn auch nutzte wie den Tischlersohn, um sich auf einer ozeangrünen Persenning eine seltsam prosaische Lust zu befriedigen. Aber das wußte Fokko damals in keiner Weise einzuschätzen, hat das Spiel aufgeregt und benommen über sich ergehen lassen und am Ende geglaubt, daß ein solches Geschäft nichts anderes wäre als eine besondere Sportart. Die Bäckerin, denkt er, hat den Teig bereitet, aus dem die Wirtin ihre speziellen Spezereien formen und backen konnte.
Die Fenster sind von Dunst und Gischt beschlagen, gleichwohl hat er den Eindruck, daß das Schiff seinen Kurs ein paar Strich westlicher genommen hat und sich von der Küste entfernt. Für einen Augenblick glaubt er, den Lichtfaden von Campen durch die Suppe streichen zu sehen, aber das kann ebenso gut eines der Feuerwerke sein, die sich auf der Netzhaut selbstständig machen, wenn man die Augen schließt. Das tut er nun.
Doris hieß sie, Doris Dünenbroek. Sie hat ihn nach der Eskapade auf der meeresfarbenen Persenning kein weiteres Mal angefaßt, nie wieder angesprochen oder wahrgenommen, es war ihm ewig unbegreiflich, wie man etwas so Ungeheuerliches von sich streifen konnte, als wäre es nichts weiter gewesen als ein Besuch bei einem Friseur in einer fremden Stadt. Später hörte er, daß sie sich einen Borkumer Bäcker gegriffen hat, ihm die Laugenstangen geknetet und müßte eigentlich noch immer auf der Insel leben.
Etwas Warmes berührt ihn zart. Er öffnet die Augen und begreift dennoch nicht, daß sich ihre Hand auf seine gelegt hat. Sie lacht ihn an.
»Du träumst, Fokko!«
»Ja, Merreth, ich träume.«
»Schön«, sagt sie.
Die Berührung einer Frau hat er im Grunde stets als eine Inbesitznahme erfahren müssen. Ganz zu Beginn war es mit Eva vielleicht anders, es war ein selbstverlorenes Spiel beider, zumindest war es ihm so vorgekommen, die Zeiten indes waren ebenfalls selbstverlorene, sie konnten sich weder eine Zukunft vorstellen, noch dachten sie an die Vergangenheit, die kaum
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