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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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jemals mehr als einen Tag zurückreichte. Diese Monate waren wie ein langer, intensiver Traum, alles geschah von selbst, das Schicksal lebte seine Protagonisten oder es waren die Hormone, die uns bei aller Wirksamkeit vortäuschen, wir hätten nichts von unserer persönlichen Freiheit eingebüßt. Recht bald jedoch kam das schwerelose Spiel an ein Ende, das Schicksal zog weiter, die Hormone schlichen sich aus, die Tage bekamen ein anderes Gesicht. Eva übernahm das Crocodile und hatte ab sofort einen Plan, in dem er selbst eine nachgeordnete Rolle spielte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Sache zu Ende. Er hätte gehen müssen, obwohl er gerade eben gekommen war. Hätte sich auf die Suche machen sollen nach einer Berührung, die von ihm ausgeht. Aber er ist schlicht im Radiosessel sitzen geblieben, hat sich unterm Kopfhörer versteckt und beobachtet, wie ihre Schritte von Tag zu Tag fester wurden.
    »Du wolltest was fragen?«
    »Ja«, sagt sie. »Ob du dich entschieden hast. Wegen der Fischbude.«
    Fokko zieht die Schultern hoch und schaut sich um. Ein paar Touristen sitzen da, Rentner zumeist, Großeltern mit Enkeln, dazu ein paar Insulaner mit leichtem Gepäck. Ein älterer Herr in einem dunklen Anzug und mit Krawatte schreibt etwas in ein Notizbuch, und auf der Backbordseite funkeln die Lichter von Eemshaven durch den Dunst. Warum kommt es ihm so vor, als hätte die Entscheidung für oder gegen die Fischbude was mit Merreth zu tun?
    »Weiß nicht«, sagt er matt.
    Ihre Hand liegt wohl schon länger nicht mehr auf der seinen, rührt jetzt wieder mit dem Löffel im Kaffee, als wolle sie einen Kilo Zucker in der Tasse auflösen. Das Schiff stampft seit einer Weile gegen höhere Wellen an, und irgendwo auf einem Nebentisch zittert der Diesel klirrend mit zwei Gläsern, die sich zu nahe gekommen sind. Er wird am Montag zu Hinrichs Tante gehen, wird sie zur Fischbude befragen und um ein paar Tage Bedenkzeit bitten. Und bevor er sich entscheidet, wird er mit Merreth reden.
    »Es ist für alles Zeit«, sagt sie, lächelt ihn an und trinkt ihren Kaffee in kleinen Schlucken. Es ist ihm ein Rätsel, was in ihrem hübschen Kopf vorgehen mag, weswegen sie hier sitzt, bei recht ungemütlichem Wetter mit einem vollkommen unbekannten Mann über die Insel rennen wird, und den Eindruck erweckt, als wäre sie seit vielen schönen Jahren an seiner Seite. Es sieht nur so aus. Weil er es wünscht.
    »Warst du schon mal auf Borkum?« fragt er.
    »Nein, noch nie.«
    Sie gehen an Deck. Der Nordwest steht ihnen eisig entgegen, Merreth schmiegt sich an, Fokko legt den Arm um sie und erklärt ihr, was man im Dunst nicht sehen kann, deutet steuerbords voraus, wo ein schmutziger Streifen auf dem grauen Karton von Himmel und Meer zu erkennen ist. Von oben gesehen, sagt er, sei die Insel wie ein weit aufgerissenes Haifischmaul, das aus den Untiefen der Nordsee auftauche, die Hafenanlagen sind an der geschützten Wattenseite im Süden eingerichtet, und von dort sei es ein ganzes Ende bis ins Zentrum des Ortes.
    »Aber es gibt eine Inselbahn«, sagt er.
    In nobler Langsamkeit nähert sich die Fähre der Insel an. Die Schuppen und Masten des Hafens, die Poller und Spundwände des Anlegers tauchen aus dem Dunst auf wie Bilder eines elegischen Prologs zu einem Film, der sich gleich zu Beginn bedingungslos aus der Wirklichkeit nimmt. Das gehört nicht zu meinem Leben, denkt Fokko, das ist aus der Zeit, nur für diesen Tag.
    Sie verlassen das Schiff. Auf dem Kai steht die Inselbahn mit bunten Spielzeugwaggons, in denen die Menschen in ungewöhnlicher Ruhe und Gelassenheit Platz nehmen. Mag sein, denkt Fokko, das liegt am Hochseeklima, möglicherweise ist es auch die spürbare Distanz zum Festland, daß uns durch die geraume Passage der Untergrund entzogen ist, mit dem wir gewöhnlich verwurzelt sind und erkennen plötzlich, wie sinnlos alle Zielstrebigkeit und jegliche Hast auf einer Insel sind. Vielleicht ist es das. Hier kommt man nicht weit. Darum wird man wahrscheinlich mehr bei sich sein.
    Die Bahn ruckelt an Marschwiesen vorbei, dann durch die Außenbereiche des Ortes, hier und da ist der Schatten einer Kuh zu erkennen, in den grauen Häusern sind Zimmer frei, ein Junge begleitet die Fahrt für ein Stück mit wild schlenkernden Bewegungen auf seinem gelben Rad. Die Reise geht bis in das Zentrum, das ein wenig eingerichtet ist wie das Herz einer Modelleisenbahnanlage. Neben dem Bahnhof das Hotel Vierjahreszeiten , gegenüber die

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