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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Zukunft verspricht, wendet er sich ab, schaut flüchtig über die Hecken, Zäune und Gräber, ob jemand seine stillen Worte gehört oder gar verstanden haben mag, dann nimmt er Merreth wie selbstverständlich bei der Hand und verläßt mit ihr den Friedhof.
    Auf dem Weg in den Ort sagt er, er verspüre plötzlich einen rechten Inselhunger, erklärt, wie kompliziert der Vater sein konnte, so liebenswert und rauh wie das verlassene Land an der Küste, einsilbig vom vielen Wind.
    »Was meinst du mit Tabu?« fragt er dann.
    »War nur so ein Gedanke«, sagt sie mit einem Lächeln und nimmt erst jetzt, da sie die Jugendstil-Fassade eines alten Hotels passieren und in eine Fußgängerzone kommen, ihre Hand aus seiner, bleibt unversehens stehen, massiert sich unter den wilden Haaren das Ohrläppchen und schaut ihn fragend an. »Es ist etwas Verschlossenes.«
    »Das Grab?«
    »Ja, auch, sowieso. Es ist gräßlich.«
    Sie geht ein paar Schritte voraus, betrachtet versunken die bunten Schaufenster, als läge die Antwort auf die Frage, die sie nicht einmal klar zu formulieren vermag, zwischen den Büchern, Souvenirs oder in der neusten Mode verborgen.
    »Wie ein Geheimnis«, sagt sie dann, geht wieder wenige Schritte weiter, Fokko folgt ihr an die Tür eines Teehauses, wo sie flüchtig die Karte studieren, dann neigt sie den Kopf mit einem fragenden Blick, er nickt, sie betreten den Gastraum, der mit brokatbezogenen Sesseln, alten Fotografien und allerlei Nippes wie eine ostfriesische Wohnstube aussieht, hängen ihre Mäntel auf und setzen sich an ein barockes Tischchen mit Intarsien und einer Spitzendecke.
    »Wie alt warst du damals?« fragt sie.
    »Als sie gestorben ist?«
    »Ja.«
    »Das war kurz bevor ich nach Osnabrück gegangen bin.«
    »Warum bist du aus Pogum fort?«
    »Weiß nicht. Ich wollte weg.«
    Er durchblättert die Speisekarte, als wäre sie in einer fremden Sprache verfaßt, reicht sie an Merreth weiter und schaut sich um. Im Februar ist es auf der Insel erfreulich ruhig, an einem Tisch sitzt eine Großmutter und betrachtet glücklich, wie ihr Enkel voller Lust ein Eis verspeist, die Wirtin parliert entspannt am Telefon über einen Urlaub auf einer Insel im Indischen Ozean und am Fenster sitzt mit einer Kanne Tee der ältere Herr im dunklen Anzug, der auf der Fähre etwas geschrieben hat. Als er die Zeitung beiseite legt, um ein Stück Kandis in seine Tasse zu geben, sieht Fokko neben der Zuckerdose das Notizbuch aufgeschlagen auf dem Tisch liegen, darauf den Stift in stiller Bereitschaft, und er denkt, dieses ist ein ungewöhnliches Bild geworden: ein Mensch, der etwas aufschreibt.
    »Du bist also in die Stadt gezogen, weil deine Mutter verstorben war.«
    »Ja, nein.«
    Die Wirtin kommt und nimmt die Bestellung auf. Tee und Pfannekuchen, für Merreth mit Äpfeln und Zimt, für Fokko mit Speck. Er erinnert sich, es herrschte nach dem Tod der Mutter eine absolute Funkstille, ohnehin das, was man als gewöhnliche Trauer bezeichnen könnte, aber es gab tagelang kein einziges Wort mehr im Haus am Kirchring, und es war nicht nur dieses Todesschweigen, das ihn von innen aufzufressen begann wie die Würmer den Leichnam seiner Mutter in der Borkumer Erde, es war vor allem das Gefühl, daß der Vater in diese steinerne Wortlosigkeit verfallen war, weil er dem Rest der Welt und zuerst seinem eigenen Sohn eine alttestamentarische Schuld zuschrieb am Verlust der Ehefrau.
    »Vermutlich schon«, sagt er. »Vater hat das nie verkraftet. Er war empört, beleidigt und verletzt, daß der Herrgott, das Schicksal oder die Ärzte des Emdener Hospitals, zuletzt gar alle drei in gemeinschaftlicher Heimtücke ihm die Frau genommen hatten, einzig um ihn, Clemens van Steen, für seine Missetaten oder sonst was zu bestrafen. Du hättest ihn erleben sollen, wie er zuweilen in aller Frühe hinten im Garten stand, die Faust über den Zaun und in den Himmel reckte, zornige Verwünschungen über das karge Land jagte, das ihn nicht anhörte wie ein grausamer Herrscher, den ein armseliger Untertan fruchtlos um Gnade anfleht!«
    Die Wirtin bringt den Tee. Fokko wirft einen raschen Blick zur Seite, als wollte er aus dem Fenster und nach dem Wetter sehen, das sich offenbar aufklart, da aus dem Rückspiegel eines vorbeifahrenden Lieferwagens ein Sonnenstrahl hereinblitzt. Der ältere Herr schreibt etwas in sein Notizbuch. Dabei hat er eine stark gekrümmte Haltung, wie ein Raubvogel, der sich vollkommen entrückt über die Beute beugt, die er

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