Die Uhr der Skythen (German Edition)
abgerissenen Gespräch da, als hätte ausgerechnet er das Erinnerungsvermögen verloren, aber als könnte er sein Gedächtnis mit Hilfe eines diskreten Schalters problemlos wieder in Gang setzen, tippte er mit dem Zeigefinger kurz auf den Rand des Kuchentellers, drehte den grauen Kopf und fragte seinen alten Schüler de Vries nach seinen Kapitänspatenten, später dann, als die Trauergemeinde zu Fuß zum Anleger zog, weil ihnen der Fahrplan mehr Zeit gelassen hatte, als sie gebraucht hätten, nach den philosophischen Implikationen der uralten Berufung des Fährmannes.
Nachdem der Vater seinen Frieden in der Borkumer Erde gefunden hat, findet Fokko den seinen im Pogumer Haus, riecht schon gelegentlich den Frühling, wenn er morgens in den Garten geht, verbringt halbe Tage mit Barockmusik und altmeisterlicher Malerei, räumt im Schuppen und auf dem Boden und macht jeden Abend eine Runde über den Deich, bevor Merreth mit dem Bus von der Arbeit kommt. Meist bleibt sie über Nacht, macht sich im Haus nützlich, und es kommt ihm vor, als begänne sie, sich nach ganz bestimmten Plänen einzurichten.
Irgendwann fragt er sie, ob sie vielleicht bleiben wolle.
Sie versteht ihn nicht.
»Klar«, sagt sie und schaut nur kurz von ihren Stricknadeln auf.
Eine ganze Weile später sagt er, er habe das eigentlich anders gemeint.
»Wie denn?«
»Für immer.«
Da legt sie ihr Strickzeug beiseite als wäre das nun für immer, und all das bunte Wollzeug verschwände aus ihrem Leben und von ihrem schönen Körper, weil von diesem Moment an ihr Schicksal einen anderen Verlauf nehmen wird, sie daher andere Kleider tragen will, vielleicht Hosen und Pullover wie ein Schiffsjunge, vielleicht graue Kostüme, als ginge es darum, Karriere zu machen in der gehobenen Laufbahn.
Aber sie fragt nur: »Warum?«
Fokko schaut sie groß an, kommt um den Tisch herum, setzt sich an ihre Seite, legt den Arm um ihre Schultern und gibt ihr einen Kuß auf die Wange.
»Weil ich die liebe!«
Er sagt es trotzig und bestimmt, wie einem begriffsstutzigen Kind.
»Ja, bald wohl«, gibt sie zur Antwort, »ich dich auch.«
Ihr Lächeln verrät, natürlich hat sie alles vorgewußt und gewünscht und damit ist offenbar auch alles gesagt. Sie bleiben eine Weile innig beieinander sitzen, dann gibt sie ihm noch einen flüchtigen Kuß auf die Lippen und nimmt sich wieder das Strickzeug. Am Ende des Monats leihen sie sich den kleinen Lastwagen von Smits Fisch & Granat , packen ihn mit ihren Sachen voll und verstauen sie im Haus am Kirchring.
Anfang März öffnet er mit der alten Frau Smit die Fischbude am Ditzumer Hafen. Er hat von ihr zwei weiße Kittel bekommen, sie erklärt ihm alles und stellt ihm die Leute vor, die regelmäßig kommen, die Männer von der Werft, die Frauen vom Tourismusbüro und bei Gelegenheit ein paar Fischer. Nach der Probewoche besiegeln sie per Handschlag ihren Pachtvertrag, Frau Smit zieht sich in ihr Büro zurück, in dem sie ohne Eile alles schriftlich machen will, Fokko stellt eine Kaffeemaschine auf und malt ein Schild mit den aktuellen Öffnungszeiten.
Hinrich kommt regelmäßig zwischen seinen Passagen, steht an der Ecke des Tresens bei der Friteuse, bestellt gelegentlich ein Glas Tee, manchmal einen Kaffee, wenn er mittags sein Brot auspackt. Sie reden über ihre Freundinnen, die Pogumer Verhältnisse und die Geschäfte.
Eines Tages sagt Fokko, er wolle die restlichen Sachen aus Osnabrück holen.
»Wie willste das machen?«
»Hab Deine Tante schon gefragt, wir können den Fischlaster haben.«
»Wir…?«
»Wollte dich schon gefragt haben, müßte am besten nachts sein, zwischen deiner letzten Fähre und morgens um zwei, drei Uhr.«
»Weswegen?«
»Spätestens um vier brauchen die den Lieferwagen zurück, der fährt dann Fisch holen.«
Ein Werftarbeiter kommt über den Platz gehumpelt, nickt zu Hinrich rüber und bestellt frischen Rotbarsch mit Kartoffelsalat. Fokko wälzt ein Filet in der Panade und läßt es in das heiße Fett gleiten.
»Und auch wegen ihr.«
»Wegen wem?« fragt Hinrich.
»Eva, meine Ehemalige, die soll nichts merken, die steht um die Zeit in ihrer Kneipe.«
»Haste den Schlüssel noch?«
»Jau.«
Sie verabreden sich für den ersten April, das ist ein Freitag. Am Abend kommt Merreth mit dem Rad und hilft ihm, die Bude aufzuräumen und abzuschließen. Die Vögel über den Fischkuttern machen ein Geschrei, als wäre das Ende des Tages das Ende der Welt. Das letzte Licht liegt auf dem Schwan
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