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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Zauberkräften gewonnen hätte, andererseits habe sich das Ding just am Todestag des Vaters nützlich erwiesen, um eben noch rechtzeitig am Sterbebett zu sein für einen würdigen Abschied. Außerdem befürchte er dann doch, daß in dreißig Jahren so eine Grabstelle vielleicht abgelaufen sei und ein Totengräber, der heute noch nicht geboren sein müßte, die Uhr zwischen den morschen Knochen finden könnte und öffnen würde. Dann säße er zwar in der Grube, der junge Mann, erstarrt auf unbestimmte Zeit wie um ihn herum die Insel und das Festland wohl ebenso, aber zwischen all den Untoten befände sich irgendwo Fokko van Steen, so Gott will noch rüstig im Garten des Pogumer Hauses, vielleicht verlassen auf der Fähre in der Mitte des Flusses, der alte Kapitän mit steinerner Hand am Steuerruder, wahrscheinlich aber liege er hinfällig in einem Bett in einem Heim in der schönen Stadt Leer, ausgeliefert sowieso der launischen Barmherzigkeit der Schwestern, die dann von einer Sekunde auf die andere eiseskalt festgeschrieben sei. Und er selbst hilflos allein in einer untoten Welt.
    Ich habe mir überlegt, sagte Hamelmann, jedes Uhrwerk läuft eine endliche Zeit. Dabei ist es gleichgültig, ob es von einer Kernspaltung angetrieben wird, von einer herkömmlichen Batterie oder von mechanischen Kräften.
    Hinrich drehte den Löffel in der Teetasse, als zöge er eine Uhr auf. Eine unentschiedene Heiterkeit schien in seinen Augen zu leuchten, er hob den Kopf, schaute den alten Lehrer verwundert an, lächelte, und in diesem Augenblick mochten sich die beiden ihrer eigenen Geschichte erinnert haben, den Moment unter der Eiche, der ihr letzter gewesen war seit langer Zeit, Hamelmann in seinem im Nordwestwind schlotternden Anzug, der Schüler de Vries schlaksig wie trotzig auf der Bank: Sie sind jetzt nicht mehr für mich zuständig.
    Diese Endlichkeit mag bei einer gewöhnlichen Armbanduhr beliebig sein. Ich ziehe sie auf oder setze eine neue Batterie ein, und dann läuft sie eben so lange sie läuft. Das kann ich mir bei deiner Uhr nicht vorstellen, Steen. Schließlich mußtest du sie ja auslösen, indem du den Knopf im Zentrum gedrückt hast. Vermutlich drehen sich die beiden Ringe einmal gegeneinander, der Knopf springt wieder zurück und der Zauber ist vorbei.
    Hab ich auch schon gedacht…
    Und darunter liegt ein mechanisches Uhrwerk, eine Feder oder dergleichen, die Energie besitzt für diese eine Umdrehung.
    Ja. Oder für zwei.
    Oder für zwei. Das kann man ausprobieren.
    Oder es lassen.
    Hamelmann nickte versonnen, zerteilte mit einer Kuchengabel einen Bienenstich in lauter kleine Stücke, die er peu à peu mit den Fingern auf die Zunge nahm und wie ein graues Reptil genüßlich verschlang.
    Ich hätte es mir am Sterbebett meines Vater bequem machen sollen, sagte Fokko. Einen Stapel guter Bücher an der Seite und irgendwo ein aufgegebenes Bett. So ein Heim wäre ein guter Ort dafür. Man fände ausreichend zu essen und zu trinken in den Katakomben – und ein Reich der Untoten ist es sowieso.
    Und dann?
    Abwarten. Irgendwann müßte die Uhr ja durchgelaufen sein. Und dann hätte ich das Ding meinem Vater als Grabbeigabe verehren können.
    Hamelmann vertilgte den Bienenstich.
    Das Maß einer kompletten Umdrehung kann nur was Astronomisches sein, sagte er dann und tupfte mit einer Fingerspitze die Kuchenkrümel vom Teller. Die kleinste Einheit wäre der Tag, eine Umdrehung des Planeten Erde um sich selbst. Wie lange ist die Uhr bisher gelaufen, Steen?
    Gute Frage. Fokko erinnerte sich, daß er haargenau dieses Gespräch mit Schwammheimer geführt hatte. Das mußte eine Ewigkeit her sein.
    Nicht sonderlich lange, sagte er, vielleicht vier Stunden, höchstens fünf.
    Ist die Verschiebung der Ringe voreinander sichtbar, meßbar?
    Kaum.
    Wieviel Grad?
    Vielleicht zwei.
    Es war Schwammheimers Zahl und sie sagte ihm wenig.
    Der Bekannte, der die Zwischenräume seines Lebens mit der Niederschrift fortlaufender Zahlenreihen verbringt, hatte den Gedanke, es könnte auch der Mond sein.
    Ja, sagte Hamelmann und schob den Kuchenteller einen Zentimeter von sich, könnte sein, das Jahr ist allerdings ebenfalls eine astronomische Größe.
    Fokko, der plötzlich keine Lust mehr verspürte, über die Zauberuhr zu reden, hatte sich ohne ein letztes, verbindliches Wort den Frauen zugewandt, die kichernd zu ergründen suchten, wo sich Verwandtschaften finden ließen im Charakter der ihnen nahestehenden Männer. Hamelmann saß mit dem

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