Die Uhr der Skythen (German Edition)
vorbei und helfe dir einräumen.«
So wird es geschehen. Noch ehe er sich von der Mauer bemüht hat, ist sie schon durch das Sieltor und im Festtrubel verschwunden. Er dreht sich eine Zigarette, steckt sie an und schlendert auf dem Deich zum Hafen zurück. Die Sonne steht über den Dächern der Werft, sie wärmt die kleine Stadt, die ein Teil seiner Heimat ist, wärmt sein Herz, in dem Schritt für Schritt ein seltsames Gefühl in ihm aufsteigt, noch bevor er begreift, was ihm geschieht. Das, hat sie gesagt und seine Hand auf ihren Bauch gedrückt. Damit kann sie eigentlich nur eines meinen.
Er tritt durch das untere Sieltor in den Hafen. Das Karussell mit den alten Figuren dreht sich zu seiner schwerfälligen Musik, die leidenschaftslose Litanei des Losbudenbesitzers streicht über den Platz wie ein schlechter Wind, vor dem Zelt stehen einige Werftarbeiter, halten sich an Biergläsern fest und reden gewiß über ihre schlechten Arbeitsbedingungen. An der Schießbude klebt eine Traube Halbwüchsiger, auf der Bank neben dem Tor sitzen fünfjährige Zwillinge in rosafarbenen Kleidern mit Schleifen im Haar und in ihren Händen halten sie zwei identische Bäusche Zuckerwatte.
Für einen Atemzug hält alles inne. Es ist das Gemälde eines niederländischen Meisters. Er schnippst die Zigarette ins Hafenbecken und geht um das Karussell herum auf seine Fischbude zu.
Da steht Eva.
In einem blauen Kleid mit weißen Punkten steht sie am Ende des Tresens bei einer Tasse Kaffee und unterhält sich derart rege und entspannt mit Hinrich, als wären sie gemeinsam auf der Ems aufgewachsen. Sein erster Impuls sagt ihm, daß es vernünftig wäre, noch eine Runde über das Fest zu drehen, um einen virtuellen Abstand zu gewinnen oder vielleicht Merreth doch noch einmal zu begegnen und sie gezielt nach dem zu fragen, was letztlich kein ernsthaftes Rätsel sein kann. Aber Eva kann man nicht aus dem Wege gehen, es ist mit ihr wie mit einem unvermeidlichen Schicksal.
So stellt er sich dazu, gibt dem Freund ein Zeichen, daß er ihn alsbald ablösen wird, und wünscht möglichst beiläufig einen guten Tag. Notabene ein knapper Gruß zurück ist nicht Evas Stil, vor allem und erst recht nicht in der Öffentlichkeit, mag sie auch so bescheiden sein wie die an der Ditzumer Fischbude. Entschlossen und mit einem strahlenden Lächeln vollführt sie den einen Schritt, der zwischen ihnen liegt, ergreift mit beiden Händen seine linke Hand, zieht ihn so näher und ein wenig herab, um ihm einen Kuß auf den Mund zu geben. Hinrich schaut mit einem argwöhnischen Auge zu, während er einen Plastikteller mit einem Klacks Kartoffelsalat bedenkt und das dazugehörige Seelachsfilet sprudelnd in der Friteuse versenkt.
»Grüß dich, mein Liebster«, sagt sie und läßt nun endlich seine Hand frei.
Es ist eine Posse. Sie küßt ihn intimer als Merreth es auf der Mauer getan hat, sie ist mit festen Absichten gekommen, da ist er sich sicher, aber er wird die Distanz wahren, die er soeben zurückgewonnen hat.
»Wie hast du hergefunden?«
Sie zeigt auf eine Serviette: Smits Fisch & Granat, Kirchstraße, Ditzum .
»Stand an Eurem Fischwagen.«
»Und?«
»Da dachte ich, ich mach mal einen Ausflug.«
»Weswegen?«
»Euch besuchen.«
»Uns?« Er glaubt ihr kein Wort. »Bist du allein?«
»Machst du mir noch einen Kaffee?« fragt sie Hinrich, stellt ihre Tasse auf den Tresen und schaut sich um. Gleich wird sie was zum schönen Wetter sagen, aber sie nimmt nur einen kleinen Anlauf, holt nur Luft. Ihr Blick fällt auf das Spektakel um sie herum, folgt einer Weile dem behäbigen Auf und Ab und Rundherum des Karussells und verliert sich am Ende in den Aufbauten der Kutter, in denen sich ein Haufen Möwen gesammelt hat. Die Abendsonne, die über Pogum steht, gibt ihren Haaren einen goldenen Glanz, ihrer Haut eine Reinheit, die ihm durchaus vertraut ist. So war sie, als sie sich kennenlernten, ohne Jeans und Narrenkappe, immer in buntfarbenen Kleidern wie heute, zeitwidrig auch damals, als die Frauen längst begonnen hatten, ihre Körper in konturlosen Männersachen zu verhüllen.
Hinrich kassiert den Seelachs mit Salat, und als sich die Kasse mit einem Klingeln öffnet, fällt Fokko die Uhr ein. Sie liegt hinten in der Geldlade, für alle Fälle, und weil er zu blöd oder zu bequem war, ein vernünftiges Versteck zu finden oder eine endgültige Lösung.
»Hast du das Wunderdings noch?« fragt sie.
»Ja.«
»Wo?«
Sein Blick geht für eine Sekunde in
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