Die Uhr der Skythen (German Edition)
sich absolut geborgen fühlt, behütet und… geliebt. Was mir im Sommer wie eine temporäre Eskapade erschien, hat sich nun wohl zu einer Geschichte stabilisiert, von der ich manchmal glauben mag, sie sei eine uralte: schon lange gelebt oder seit ewiger Zeit aufgeschrieben, vorhergesagt. Wir haben in diesen Londoner Tagen kein Wort über uns gesprochen, wie es weitergehen soll oder wie unser Verhältnis zu bewerten sei, aber wir leben es wie selbstverständlich voller gegenseitigem Respekt und leichten Herzens. Auch wenn diese Frage für mich niemals im Vordergrund stand, und ich sowieso nicht zu denen gehöre, die sich tagtäglich nach dem eigenen Befinden befragen, so kann ich in diesem Augenblick, da Maria voller Anmut auf dem Bett liegt und träumt, ehrlichen Herzens schreiben: Ich bin glücklich.
Dieses Glück besitzt allerdings eine zweite, weniger honorige Ursache, von der ich nicht weiß, ob es klug ist, sie hier zu erwähnen. Ich tue es doch, weil ich wenigstens in diesen Aufzeichnungen der Ehrlichkeit verbunden sein will, weil ich sonst das Gefühl hätte, mich selbst zu betrügen. Durch Winston Browns Vermittlung erfuhren wir am Morgen die Ehre eines Besuchs im Magazin des Science Museum. Es ist ungeheuerlich, welch ein Fundus in den Katakomben lagert, was alles das Tageslicht oder das Auge des Besuchers niemals erblickt. Es existiert dort unten ein wirrer, mächtiger Gegenkosmos zu der lichten Welt in den oberen Etagen, wo uns in pädagogischer Dosierung erklärt wird, wie das Universum funktioniert. Man könnte meinen, die Ausstellung bestünde lediglich aus einem Bruchteil dessen, was sich unter der Erde verbirgt. Eine ältere Dame, Mrs. Rahel Connolly, führte uns durch dieses staubige, muffige Reich der Reichtümer, Ali Babas Schatzhöhle, ein Gral der Wissenschaften, sortiert zwar nach Abteilungen, aber dennoch nichts anderes als ein babylonisches Chaos. Mrs. Connolly führte uns nicht wirklich durch das Magazin, eher beaufsichtigte sie uns mißmutig, erklärte kein einziges Sammlungsobjekt, schenkte uns stattdessen derart argwöhnische Blicke, als erwarte sie, daß wir den kompletten Fundus des Museums rauben wollten.
Ich gebe zu, es ist ein gravierender Charakterfehler meinerseits, aber wenn mich jemand dermaßen nachdrücklich mit einem unbegründeten Mißtrauen behelligt, neige ich dazu, dem Argwohn gerecht zu werden. Also hielt ich diskret nach einem kleinen Andenken an das Magazin des Science Museums Ausschau, dachte nicht unbedingt an ein Prisma des Isaak Newton, vielleicht eher an so was wie einen Sextanten, da spielte mir das Schicksal ein interessantes Beutestück in meine diebischen Hände. Eben als Mrs. Connolly mit der Stahltür beschäftigt war, durch die wir in die folgende Abteilung der wissenschaftlichen Unterwelt gelangen sollten, sah ich in einem Regal neben einer viktorianischen Pendeluhr einen wunderschönen hölzernen Kasten, nicht größer als eine der Kisten, in denen Onkel Albert seine Zigarren verwahrt. Ohne zu ahnen, was der Kasten enthalten könnte, steckte ich ihn beiläufig in Marias Handtasche.
Als die schwere Tür hinter uns ins Schloß gefallen war, gab es keinen Weg zurück, die Tat war geschehen und unter keinen Umständen rückgängig zu machen. Eine angstlüsternde Erregung bemächtigte sich meiner, ich hatte kaum mehr einen Blick für die Sammlungen, erkannte lediglich by the way, daß alles, was dort unten verstaubt, vergangen ist, gewesen und Geschichte, auch in der Optik nur das Übliche, nichts Aufregendes, aber das würde sich für mich in der näheren Zukunft finden. Beim Verlassen des Museums, so stellte ich mir vor, würden wir einer regulären Kontrolle unterzogen und unter den giftigen Blicken der keineswegs perplexen Frau Connolly fände man ausgerechnet in der Handtasche der vollkommen ahnungslosen Maria einen Holzkasten mit irgendeinem nautischen Besteck, einer Braunschen Röhre oder Galileis erstem Okular.
Nichts dergleichen geschah. Mrs. Connolly entließ uns auf der Rückseite des Museums, erklärte uns den Weg in den Hyde Park und schenkte uns noch einen Gesichtsausdruck, der wohl ein Lächeln darstellen sollte. Erst als wir das bombastische Albert Hall Memorial passiert hatten und uns auf den großzügigen Wegen kein Museumswärter nachgelaufen kam, wurde ich ruhiger, nahm Marias Hand und setzte mich mit ihr auf eine Parkbank im Schatten einer Plantane. Natürlich war sie erschrocken, entgeistert und bedachte mich mit gespielter Empörung,
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