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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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jenseits der Bahn sein mochte: wie am nordwestlichen Zipfel einer Insel der Äußeren Hebriden.
    Sie gehen das letzte Stück. Am Straßenrand steht schräg ein selbstgemachtes Ortsschild mit dem Namen Limbergen . Die Enklave besteht aus einem halben Dutzend Häuser und dem aufgelassenen Stellwerk. Schwammheimers Haus ist inzwischen bis unter das Dach mit Efeu bewachsen. Fokko geht daran vorbei bis an die Bahn. Es ist genau dieser Punkt gewesen, hier hat er gestanden vor wievielen Jahren. Wo nun eine winterliche Grabesruhe herrscht, stand damals das Unkraut zwischen den Gleisen, über den Schienen flirrte die Luft und das Brombeergestrüpp summte vor Leben.
    Es hat diesen Sommermoment gegeben. Er ist längst unwiderruflich vorbei, aber dennoch schmerzhaft lebendig. Er hätte damals diesen elegischen Impuls nicht ignorieren und sich auf die Rückbank der Limousine verkriechen sollen. Es war eine gültige Sehnsucht, die es heute noch gibt, aber damals kannte er Eva bereits.
    »Irgendwohin«, sagt er.
    Schwammheimer steht an seiner Seite.
    »Die wirklichen Reisen finden im Kopf statt«, spricht er, »der Rest ist Tourismus.«
    Sie hören einen Zug näherkommen, zunächst ein gleichmäßiges Rauschen, das sich rasch in ein großes Getöse verstärkt, und für den Moment, da die Waggons sie in einer wilden Schneewolke passieren, schlägt der eiserne Rhythmus der Räder auf den Schienen jeden Gedanken aus ihren Köpfen. Als der Schnee auf die Erde zurückgesunken ist, die Stille scheu aus ihren Winkeln hervorgekrochen, da steht über dem Hörner Bruch der Mond, als wäre es immer so.
    »Du könntest doch«, sagt Schwammheimer, »solch einen Zug anhalten.«
    »Ja.«
    »Wenn er mit einem Höllenspektakel vor deiner Nase durchrauschen möchte, öffnest du deine Uhr, tausend Tonnen Stahl erstarren, der wirbelnde Schnee wird zu einem zähen Nebel, die Welt hält den Atem an, Fokko van Steen klettert unbesorgt in den Kurswagen nach Venedig und wenn er schlau ist, klaut er noch einer alten Dame das Ticket, bevor er es sich in der ersten Klasse gemütlich macht.«
    »Das ginge.«
    »Ja und?«
    »Kann ich genauso gut zum Bahnhof gehen.«
    »Na klar, das ist aber nicht so aufregend!« lacht Schwammheimer.
    Fokko nickt und schaut sich das Stellwerk genauer an. Unten herum sind die Wände mit Graffiti verziert, auf der Stahltür klebt ein verwaschener Aufkleber, der den Generalstreik fordert, und die Fenster hoch oben sind verbrettert.
    »Ich weiß noch gar nicht recht«, sagt er dann, »wie das Ding funktioniert.«
    »Ganz einfach. Uhr auf. Die Zeit steht still.«
    »So einfach ist es nicht. Die Uhr ist irgendwie auf mich geprägt, und es gibt so etwas wie eine unbestimmte Aura meines Einflusses.«
    Schwammheimer deutet mit dem Daumen über die Schulter. Sie gehen das kurze Stück zu seinem Haus zurück, Fokko erzählt von dem Tennisball, den er trotz angehaltener Zeit in die erstarrte Welt hatte werfen können wie sonst einen Tennisball, wenn aber der Junge ihn im Moment der Zeitstillstandes über seinem Kopf jongliert hätte, wäre er dort oben kleben geblieben wie ein komprimierter Heiligenschein.
    »Aber du«, erklärt Schwammheimer, »hättest ihn ohne weiteres aus der Luft pflücken können.«
    Fokko nickt.
    »Die Kraft, die dich inmitten der betäubten Welt lebendig bleiben läßt, überträgt sich auf die Gegenstände, die du berühst. Das meinst du mit Aura.«
    »Ja«, sagt Fokko. »Und nein. So einfach ist das nicht.«
    Er erkennt Schwammheimers Haus wieder. Nicht, weil er an einem verlorenen Sommertag vom Stellwerk her oder von der Rückbank einer Limousine aus einen Blick drauf geworfen hat, nein, er erkennt es tief aus der Erinnerung, aus seinen Träumen, Wünschen, aus den Märchen. Es ist verwunschen wie das Haus von Rotkäppchens Großmutter, klein wie das des Müllers mit seinen drei Söhnen, es macht eine unbestimmbare Angst und verspricht vollkommene Geborgenheit. In ihm wohnt eine unersättliche Sehnsucht, die einzig in ihm selbst gestillt werden kann.
    Sie gehen durch den verschneiten Vorgarten. In dem kleinen, rautenförmigen Fenster in der Haustür steht ein warmer Lichtschein, und Schwammheimer erklärt, ehe er die Tür öffnet, er lasse immer eine Lampe brennen, wenn er gehe, trotz ökologischer Bedenken und nicht, um den Weg zu finden, eher im Sinne einer kuriosen Selbstvergewisserung, wie ein ewiges Licht nicht nur bedeute, der Geist des Herrn ist immer da, sein Auge wacht, seine Gnade waltet ohne Unterlaß,

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