Die Uhr der Skythen (German Edition)
länger unter meiner Bettdecke Asyl geben. Kannst ihn frei rumlaufen lassen.«
Die Kaffeemaschine piepte noch stets an dramaturgisch bedeutenden Punkten. So auch jetzt. Schwammheimer grinst und greift nach dem Glas Aquavit. Seine Hand, beobachtet Fokko, vollführt dabei die typische Schüttelbewegung. Der arme Poet leidet tatsächlich unter Parkinson.
»Schwammheimer«, sagt er erschrocken, »deine Hand…«
»…trägt keinen Siegelring.« Der Dichter setzt das Glas wieder ab, lacht und hält Fokko die Hand entgegen. Sie ist nicht weiß, kein Stück speckig, ist im Grunde nicht einmal die Hand, die er sich für einen Schriftsteller vorstellt, eher die eines Handwerkers, die eines Tischlers vielleicht, kräftig, von gesunder Farbe und nahezu perfekten Proportionen, aber sie dirigiert einen langsamen Takt.
»Sie zittert.«
»Ja«, sagt Schwammheimer nur und läßt die Hand in der Hosentasche verschwinden. Eva pudert das Sahnekissen mit Kakao.
»Danke, Eva. Für die Zeit.«
»Bitte sehr.«
»Schwammheimer«, wendet sie sich an den Dichter, »hattest du mir nicht eben erzählt, du wolltest etwas für deinen Roman notieren? Muß für dich doch wichtig sein, was?«
»Richtig, richtig«, knurrt er, trägt die Wasserflasche und das Glas an seinen Tisch, als er aber den Aquavit rübertragen will, gerät er ihm fürchterlich ins Schaukeln, er steht dabei und sieht zu, was seine Hand mit dem Schnapsglas anstellt.
»Scheiße«, sagt er schließlich. Das Glas ist leer, dennoch setzt er es an, läßt den letzten Tropfen in sich laufen, als wäre das Gespenst in ihm damit zu besänftigen. Dann knallt er das Glas auf die Theke, als trüge es die Schuld an dem Mißgeschick, flüchtet auf seinen Thron, schlägt das Notizbuch auf und grummelt: »Bring mir einen neuen!«
Eva füllt einen Schnaps nach und macht ein Zeichen mit dem Kopf. Fokko trägt das Glas an den Tisch und stellt es dem Dichter hin, der gedankenverloren seine bildschöne Schrift auf die Zeilen stellt: mit ruhigster Hand.
»Laß es dir schmecken«, sagt er. Das Schreiben ist ihm die beste Therapie, das stellt ihm die Sinne ruhig, die Hand. Und wenn er aufhört, macht sie sich selbstständig, sucht nach einem Stift, nach einer Berührung, um den unsterblichen Schüttelfrost abzustreifen. Was für ein unheilvolles Zeichen, denkt Fokko, was für eine ängstigende Aussicht auf den Rest seines wunderlichen Lebens.
»Hast du meine Taschenuhr gesehen?« fragt Schwammheimer.
»Ja«, antwortet Fokko, kramt sie aus der Hosentasche und klappt sie auf. Fünf nach acht. Die Standuhr des Drogisten zeigt fünf vor acht. Es ist von Anfang an ein Irrtum gewesen, der Zeit so etwas zuzusprechen wir Kontinuität. Das ist nichts weiter als ein menschlicher Wunsch.
»Hast du meine Uhr gesehen?« fragt er und legt die Taschenuhr auf den Tisch.
Schwammheimer unterbricht die Niederschrift seiner Gedanken, legt den schwarzen Stift beiseite und entläßt seine Hand in abwägende Schwingungen. »Die Uhr der Skythen, mein Freund«, sagt er versonnen und grinst, »kann überhaupt nur einer sehen.« Dann summt er das Kirchenlied.
Fokko bringt nur ein schräges Lächeln zustande. Immerhin hat Schwammheimer versucht, ihn zu hintergehen, und wenn es ihm gelungen wäre, hätte er sich auf seine Art der Zeit bemächtigt, und ihre zweifelhafte Freundschaft hätte sich rascher aufgelöst als ein Löffel Zucker in der heißen Schokolade, die Eva eben auf den Tresen stellt.
»Allerdings«, sagt er bloß und setzt sich zurück.
Mit einem Blick, in dem sich so etwas wie ein ironisches Interesse und ein sanftmütiges Mitgefühl zu mischen scheinen, schaut Eva zu, wie Fokko drei gestrichene Löffel Zucker durch den Sahneberg in die Schokolade rieseln läßt und umrührt. Dann streift er Sahne auf den Keks und beißt ihn durch.
»Seit wann hast du eine Uhr?« fragt sie.
»Neuerdings.«
»Die Uhr der was…?«
»Skythen.«
»Was sind Skythen?«
»Ein altes Reitervolk«, antwortet Schwammheimer aus der Distanz, nimmt den Stift in die unstete Hand und beugt sich über das Notizbuch. »Und eine Uhrenmanufaktur schmückt sich damit, fabriziert ein pseudo-antikes Design, und innen drin sitzt vermutlich nichts als ein Computerchip.«
»Also Zeitgeist«, stellt Eva fest.
»Genau. Bei einer Uhr ist der immerhin einigermaßen geistreich.«
»Zeig mal her!« In ihrem Blick steht wieder nicht nur eine einzige Botschaft geschrieben, ihre Aufforderung ist gleichzeitig eine Frage, ihr Interesse
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