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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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eingesperrt in einer Etagenwohnung mit einem kriegerischen weiblichen Wesen.
    Er hat Heimweh, nichts anderes.
    Außerdem könnte sein, daß sein Vater noch lebt. Und daß sich sein Vermächtnis erfüllt: Komm wieder, wenn du bleibst. So wird es sein. Er wird Dick nicht um Urlaub bitten, das hat er noch nie gemacht, er wird ihm kündigen.

Kapitel 7
     
    »Er begreift es nicht.«
    Kopfschüttelnd beugt sich Schwammheimer über sein Notizbuch, schreibt ein paar Worte nieder, liest sie still, und als hätte er geschrieben, was er gesagt hat, spricht er es, wie um sich zu vergewissern, leise ein zweites Mal: »Er begreift es nicht.«
    Die Kaffeemaschine zischt einen indignierten Kommentar. Eva stellt ein Tablett zurecht, setzt zwei Glas Rotwein darauf, zwei kleine Pellegrino und eine Untertasse mit Keks und Löffel.
    »Was?« fragt sie, »Was begreift wer nicht?«
    »Fokko. Die Möglichkeiten, die er jetzt hat.«
    »Mit der Uhr.«
    »Ja.« Mit einer aufspringenden Gebärde seiner zitternden Linken stellt er die Dimension seines Unverständnisses ebenso dar wie die schier unbegrenzte Weite der Möglichkeiten, von denen er Eva zuvor ausführlichst Bericht gegeben hat. »Es ist ein Jammer. Er besitzt einen Charakter aus Edelstahl, das ist gewiß eine sehr gute Sache…«
    »Aber?«
    »Es grenzt unheimlich knapp an einer epochalen Naivität.«
    Eva wirft einen argwöhnischen Blick auf die Kaffeemaschine, als wäre sie eine unliebsame Mithörerin, rückt den Löffel auf der Untertasse um zwei Millimeter zurecht und zupft am Ärmel ihres Poloshirts, das wie ihr Cap heute grün ist, racing green, wie Schwammheimer ihr erklärt hat, eine Farbe, die im Kirchenjahr nur selten vorkommt, in exakt einer Woche allerdings wieder, am Sonntag nach Epiphanias.
    »Naivität«, sagt sie, »ist ja eigentlich etwas Positives.«
    »Was kann man daran positiv finden, wenn jemand durch eine unbegreifliche Fügung des Schicksals an ein Zauberding gerät, mit dem er den Weltenlauf anhalten, seiner Phantasie die Zügel schießen lassen kann, unversehens in der Lage ist, alles Geschick und jegliches Geschäft zu beeinflussen, und so einer sagt dir, er würde die Uhr am liebsten ins Meer werfen und alle Möglichkeiten vergessen.«
    Eva wischt mit einem Lappen über den Tresen.
    »Ich kenne diese Möglichkeiten bislang nur aus deinen Erzählungen, von denen ich schon immer wußte, daß sie phantastisch sind, aber…«
    »Er zaubert doch, ohne daß du es bemerkst. Er legt dir einen neuen Vertrag vor, und in dem Moment, wo du unterzeichnen willst, hält er die Zeit an, vertauscht das Papier mit einem anderen, du unterschreibst und hältst am Ende eine Kündigung in den Händen. So einfach ist das.«
    »Schön«, sagt sie und lächelt. »Ich werde diese Wunderuhr selbst erkunden.«
    »Das ist ja das Problem, das habe ich ja auch versucht, aber es geht nicht, das Ding ist auf ihn fixiert, seit er…«
    »Anders, mein Schwammerl, ganz anders.«
    »Wie meinst du das?«
    Die Kaffeemaschine läßt ein finales Fauchen hören, das in einem kläglichen Piepton endet. Eva drückt einen Knopf, setzt die Tasse auf die Untertasse, schäumt aus einer Sprühdose einen Wattebausch Sahne drauf und signiert das Kunstwerk mit einer großzügigen Gravur von Kakaopulver. In diesem Augenblick öffnet sich die Tür, der Windfang holt Luft und atmet Fokko van Steen aus, der das Crocodile betritt, als käme er mutterseelenallein nach Hause, stellt seinen Rucksack vor den Tresen, hängt seinen Parka an die Garderobe und setzt sich auf einen Barhocker, als wäre er blind und taub oder zu Tode beleidigt.
    »Hallo, Fokko«, sagt Eva, verschenkt ihm en passant ein Lächeln und trägt das Tablett zu den jungen Leuten, die im Gastraum Karten spielen. Schwammheimer hat sein Notizbuch geschlossen und summt ein Lied. Fokko hört nicht hin, aber die Melodie ist ihm vertraut und kommt näher, der Schriftsteller hat seinen elfenbeineren Platz verlassen, steht nun an Fokkos Seite, legt einen Arm brüderlich über seine Schulter und singt mit leiser Stimme: »Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh’, mit mancherlei Beschwerden, der ewigen Heimat zu.«
    Fokko wirft dem Dichter einen Blick zu, als hätte er in einem Gottesdienst ein obszönes Lied angestimmt, aber Schwammheimer vollführt nur ein großes Lachen und trommelt auf seiner Schulter herum. Eva serviert drüben eine heiße Schokolade, und Fokko kommt es wie ein schlichtes Déjà-vu vor, das hat sie gestern Abend ebenso

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