Die Uhr der Skythen (German Edition)
Windfang hinter Fokko zur Ruhe gefunden hat, an den Hauptaltar des Dichters und stellt ihm einen Genever hin.
»Der ist vom Haus«, sagt sie und fixiert ihn. »Und du bist raus.«
»Was heißt das?«
»Die Geschichte mit der Uhr übernehme ab sofort ich.«
Er lächelt. Seine Schüttelhand greift nach dem Glas, er schaut es an, nimmt offensichtlich Maß, führt es konzentriert an die Lippen und läßt das Lebenswasser in sich laufen.
»Danke«, sagt er, stellt das Glas zurück und betrachtet seine Hand. »Jetzt gibt sie Ruhe. Sei es, weil die Furcht verflogen ist, etwas anzurichten, sei es, weil der gnädige Alkohol mir die Synapsen schmiert.«
»Ich gebe dir recht«, sagt Eva, »er begreift nicht, welche Möglichkeiten er hat.«
Schwammheimer schüttelt den Kopf.
»Und jetzt will er zurück.«
Schwammheimer nickt.
»Das irdische Dasein des Menschen«, sagt er, »ist ein Spiel. Nichts als ein Spiel. Wieso ist diese intelligente Spezies nicht in der Lage, die Spielregeln zu durchschauen?«
»Was soll das?«
»Fokko ist von kindlicher Unbefangenheit. Er denkt nicht schlecht, nicht einmal nützlich. Und nun liegt plötzlich eine Zauberuhr in seinen Händen, mit der er Gutes tun könnte, aber ebenso oder vielleicht sogar noch intensiver Böses. Das hat er begriffen. Und was tut er: er flüchtet. Würde das Ding, wenn es ginge, auf dem Meeresboden oder sonstwo versenken, wendet sich mit Grausen von dem Moloch der Großstadt ab und sucht den Ort, den er als den seiner Kindheit erinnert.«
»Pogum.«
»Ja.« Schwammheimer zaubert aus einem silbernen Etui eine Zigarre hervor, steckt sie in Brand und wedelt den Rauch beiseite. »Fokko ist der Schutzheilige der Langmütigen. Und nur so kommen wir ihm bei. Was wir brauchen ist eben das: Langmut.«
»Den besitze ich nicht für einen Cent.«
»Ich weiß.«
»Du hältst dich jetzt aus der Sache raus, mein Schwammerl«, sagt sie, nimmt das Glas an sich und streicht mit einer Hand über den Teppich, der die Königstafel bedeckt. »Steigst brav in dein Studierstübchen und schreibst an deinem Roman weiter, damit wir endlich den Nobelpreis ausstellen können.«
Sie zeigt auf die Vitrine mit den Knabbereien und Kondomen.
»Da gibt’s kein Pokal.«
»Was denn?«
»Nur Geld und Ruhm.«
»Wieviel?«
»Von beidem reichlich.«
»Gut«, lacht sie, »du kriegst den Ruhm, ich das Geld.«
»Jedem, was ihm am meisten fehlt.« Sein Lachen klingt müde. Nachdenklich betrachtet er die Zigarrenhand, die mit einer gezackten Rauchfahne unheilvolle Botschaften sendet. Eva ist längst gegangen.
»Das muß auch leichter gehen…«, sagt er still.
Es ist nahezu, als dränge er in eine fremde Wohnung ein. Allenfalls ein Hauch von Akazie oder Zitrone erscheint ihm vertraut, das Knurren des Holzfußbodens, das schwache Licht von draußen, das in einem spitzen Parallelogramm auf die Möbel fällt und ihnen jegliche Räumlichkeit nimmt. Die Wohnung ist wie seine jüngste Vergangenheit: nichts scheint der Realität anzugehören, alles ist lediglich auf riesigen farblosen Fototapeten abgebildet, man könnte mit einem Messer Schlitze in die Wirklichkeit schneiden und versuchen, dadurch wenigstens mit einem Blick in die leibhaftige Welt vorzudringen.
Er geht in alle Räume, macht überall Licht und wandert mehrfach hin und her, als müßte er sich der Landkarte seiner eigenen Wohnung vergewissern. Es ist alles wie immer, und nichts ist, wie es war. In seinem Zimmer fehlt gewiß nicht ein einziger Gegenstand, es ist alles da, aber kaum mehr etwas an seinem Platz. Eva hat nichts genommen, aber sie hat dem Raum eine andere Ordnung gegeben, eine Ordnung des Aufbruchs, wie ihm scheint, die Dinge in Mittelpunkten konzentriert und gestapelt, so daß man sie mit einem Griff in Umzugskartons verstauen könnte.
Aus einem Stapel zieht er wahllos eine CD hervor und legt sie auf. Ausgerechnet Mozarts Requiem. Er schiebt seinen Sessel wieder in das Zentrum des Zimmers, stellt den Hocker davor und macht es sich bequem. Der Introitus läßt keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Situation, die Trauer ist mit dem ersten Takt apodiktisch anwesend, alle Poesie und jegliche Harmonie sind nichts als bittersüßer Zierrat. Das Thema ist der Abschied und die Endgültigkeit des Todes, nichts anderes: Requiem aeternam dona eis, Domine. Die ewige Ruhe nähert sich ihm im Gewand einer epochalen Müdigkeit, kaum, daß er im Sessel Platz genommen hat. Seine Gedanken verweilen für einen Moment bei den
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