Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
des Öfteren daran gedacht, die Stelle zu wechseln. Aber sie mochte die Arbeit in einem Geldinstitut. Tja, das war’s dann wohl, dachte sie, und tiefe Verzweiflung machte sich in ihr breit.
Der Vorfall mit der Ohrfeige geschah, als die japanische Seifenblasen-Ökonomie noch boomte. Es war die Zeit, da die gesamte Finanzbranche wie von einem Fieber befallen zu sein schien und wie verrückt Darlehen vergab. Beinahe jedem Kunden, selbst solchen, bei denen bei Masako sämtliche roten Lampen aufleuchteten, wurde Geld geliehen, ohne die Kreditwürdigkeit genügend zu prüfen, und als die Seifenblase dann platzte, saß man auf einem Berg fauler Schulden. Die Grundstückspreise fielen ins Bodenlose, die Sicherheiten waren nichts mehr wert. Immobilien wurden massenhaft zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben, doch mit den Versteigerungen konnte man längst nicht mehr genügend Geld hereinholen, so dass die Gläubiger auf den Schulden sitzen blieben.
Für die Spar- und Darlehenskasse Tanashi wurde es immer schwieriger, mit den Einnahmen die laufenden Kosten zu decken, und bald mischte sich ein großes Finanzinstitut, das zu einer landwirtschaftlichen Genossenschaft gehörte, in die Betriebsführung ein. Dann ging alles sehr schnell: Übernahmegerüchte machten die Runde, und hinter vorgehaltener Hand sprach man von Umstrukturierung und Stellenkürzungen. Masako war die älteste weibliche Angestellte, und sie hatte sich unbeliebt gemacht, man ging ihr aus dem Weg. Sie rechnete damit, die Erste zu sein, die gefeuert wurde, und ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich schnell. Sie wurde ins Personalbüro gerufen.
»Wir möchten Sie in die Filiale nach Odawara versetzen.« Nobuki musste im nächsten Jahr die Aufnahmeprüfung für die Oberschule machen. Odawara war über hundert Kilometer entfernt, sie würde ihre Familie alleine lassen und sich dort ein Zimmer nehmen müssen. Unmöglich, das konnte sie nicht. Sie lehnte ab. Daraufhin legte man ihr dringend nahe zu kündigen. Sie fühlte sich nicht als Verliererin, aber was danach geschah, tat ihr sehr weh: Ihre Kollegen klatschten in die Hände, als sie hörten, dass sie aufhören würde, der Applaus hallte durch die ganze Firma.
Als die große Seifenblase geplatzt war und immer mehr Kunden ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkamen, ging Jūmonji bald in der Bank ein und aus. Ein seriöses Kreditinstitut wie die Spar- und Darlehenskasse Tanashi nahm die Dienste von Männern wie ihm in Anspruch, damit sie die Kastanien aus dem Feuer holten. Sie sollten den säumigen Schuldnern gehörig einheizen, sie in die Enge treiben und daran hindern, sich aus dem Staub zu machen.
In den Zeiten der Hochkonjunktur hatte man aus grenzenloser Profitgier freigebig Geld verliehen, doch sobald einem der Stuhl unterm Hintern brannte, kümmerte einen der Anstand herzlich wenig. Masako hatte dieses jämmerliche Trauerspiel der Kleinkreditpraxis aus nächster Nähe mit wachen Augen verfolgt. Sie vermutete, dass Jūmonji ähnlich darüber gedacht hatte wie sie, obschon er ja selbst dabei mitmischte. Sie hatte ihn nie persönlich gesprochen, und er war dem arroganten Verhalten und den großspurigen Reden der Bankleute immer nur mit höflichem Lächeln begegnet, aber in seinen Augen meinte sie Abscheu entdeckt zu haben.
Plötzlich riss sie das Piepen der Waschmaschine aus ihren Gedanken. Das Programm war abgelaufen, ohne dass sie ein einziges Wäschestück eingefüllt hatte, so sehr hatten die Erinnerungen sie abgelenkt.
Die Lauge hatte sich in der Trommel hin- und hergedreht und war abgeflossen, Spülwasser war eingelaufen und wieder abgeflossen, bis der Schleudergang schließlich die letzten Reste hinauskatapultiert hatte... Leerlauf, so einsam, vergeblich und eigensinnig wie sie selbst in jener Zeit. Masako musste lachen.
4
Jūmonji wachte auf, als er bemerkte, dass sein Arm unter dem Kopf der Frau eingeschlafen war.
Er zog ihn unter ihrem schlanken Hals hervor und machte ein paarmal die Hand auf und zu. Die Frau, der er so unsanft die Kopfstütze entzogen hatte, machte die Augen auf. Verwundert sah sie ihn an; die schmalen Augenbrauen verschwanden fast, wie bei einem Kind – oder einer älteren Frau.
»Was ist denn?«
Er sah auf die Uhr neben dem Bett. Es war acht Uhr morgens – allmählich Zeit aufzustehen. Durch den dünnen Vorhang fiel schon die Sommersonne herein; bald würde sie sich durch das enge Zimmer gefressen und die Luft unerträglich aufgeheizt haben.
»He, steh
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