Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Darlehenskasse und ihrem riesigen Berg fauler Schulden zu tun gehabt und konnte sich noch sehr gut an Masako erinnern, die damals in der Darlehensverwaltung tätig gewesen war.
Masako hatte stets ordentlich und mit Würde in der grauen Uniform, die an ihr immer wie frisch aus der Reinigung wirkte, vor ihrem Online-Terminal gesessen. Nie trug sie auffälliges Make-up wie die anderen weiblichen Angestellten, und sie warf auch nicht mit Artigkeiten um sich, sondern tat immer still ihre eintönige Arbeit. Obwohl sie also eher unscheinbar war und man sich ihr nicht so ohne weiteres nähern konnte, schienen die Männer vom Inkassobüro alle Respekt vor ihr zu haben, denn ihre Anweisungen waren stets vernünftig, präzise und bestimmter als die jedes anderen Angestellten der Bank.
Damals hatte Jūmonji absolut kein Interesse an den inneren Angelegenheiten der Spar- und Darlehenskasse Tanashi gehabt, aber selbst ihm war nicht entgangen, dass Masako, die ja mit zwanzig Jahren Firmenzugehörigkeit eine verdiente Mitarbeiterin war,
überall geschnitten wurde. Deshalb sei sie bei der Umstrukturierung auch als Erste entlassen worden, hatte er gerüchteweise noch mitbekommen. Dass da mehr dahinter gesteckt hatte, verriet ihm sein sicherer Instinkt.
Masako hatte immer schon eine Art Barriere umgeben, die niemand zu durchbrechen vermochte. Wie ein Erkennungszeichen wies sie darauf hin, dass hier jemand alleine gegen die ganze Welt kämpfte. Kaum verwunderlich, dass Jūmonji das spüren konnte, der als Yakuza-Verschnitt selbst ein Außenseiter war. Gleich und gleich gesellt sich gern. Vielleicht steckten hinter dem Mobbing gerade die Leute, die keinerlei eigene Erkennungszeichen besa ßen.
Aber was in aller Welt sollte Masako Katori mit diesem hochverschuldeten fetten Weib zu tun haben? Das war Jūmonji ein Rätsel.
»He, ich hab Hunger. Lass uns zu McDonald’s gehen oder so.«
Die Stimme der Frau unterbrach Jūmonjis Gedanken, und er schlug die Zeitung auf, die er darüber zu lesen vergessen hatte. »Warte noch einen Augenblick.«
»Die blöde Zeitung kannst du doch auch da lesen!«
»Sei still, du störst.«
Während er sich aus den Armen der Frau befreite, die ihn umschlingen wollte, blieben seine Augen bei dem Aufmacher auf Seite drei hängen, weil in der Schlagzeile »Musashi-Murayama« vorkam. Es war ein Artikel über einen Mordfall mit zerstückelter Leiche. Sein Blick fiel auf die Zeile, in der von »Yayoi Yamamoto, der Ehefrau des Opfers« die Rede war. Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor: War das nicht der Name dieses Bürgen gewesen?
Eine dunkle Erinnerung nur, weil Masako ihm den Bürgschaftsvertrag weggeschnappt hatte, bevor er noch genauere Nachforschungen über die Person hatte anstellen können. Aber es war dieser Name gewesen, fast sicher. Die Kleine, die ihm über die Schulter sah und mitlas, fing wieder zu plappern an.
»Brrr, ekelhaft! Ich bin gerade noch im Koganei-Park gewesen. Wie gruselig«, sagte sie aufgeregt und versuchte, ihm die Zeitung wegzunehmen. »Ich kenn nämlich so einen Typen, der da immer
Skateboard fährt – er hat gebettelt und gebettelt, dass ich mal komme, um mir das anzuschaun, und da bin ich hingegangen...«
»Halt die Klappe!«
Jūmonji riss die Zeitung gewaltsam an sich und begann mit ernstem Gesicht, den Artikel noch einmal von Anfang an zu lesen. Er erinnerte sich, wie Kuniko ihm von der Nachtschicht in einer Lunchpaket-Fabrik erzählt hatte. Das musste dieselbe Fabrik sein, in der auch diese Yayoi Yamamoto arbeitete. Also war sie tatsächlich Kunikos Bürge gewesen, kein Zweifel. Die beiden waren Kolleginnen. Aber wie kam es dann, dass ausgerechnet der Ehemann der Frau, die Kuniko gebeten hatte, den Bürgen für ihre faulen Schulden zu spielen, Opfer in solch einem grausigen Mordfall geworden war? Ob es da einen Zusammenhang gab? Das wäre doch zu abstrus – eine abenteuerliche Geschichte!
Dass Masako Katori extra zu ihm gekommen und mit allen Mitteln dafür gesorgt hatte, dass er ihr den Bürgschaftsvertrag aushändigte, konnte nur bedeuten, dass sie bereits wusste, was bei Yayoi passiert war. Mist! Was war er doch für ein hilfloser Trottel gewesen, ihr den Wisch auch noch sang- und klanglos zu überlassen. Er konnte sich wirklich Leid tun.
Aber halt, immer mit der Ruhe! Jūmonji las den Artikel ein weiteres Mal. Dort stand, das Opfer sei Dienstagabend schon nicht mehr nach Hause gekommen, weshalb die Ermittlungsbehörden annahmen, dass er an diesem Tag
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