Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
durchdrehte, und sah, wie sich der Scheinwerfer durch die leichten Unebenheiten des Geländes auf- und abbewegte. Wer mochte das sein? Unter den Teilzeitkräften in der Fabrik gab es niemanden, der mit dem Motorrad zur Arbeit kam. Gespannt blickte Masako auf den Fahrer.
»Frau Katori!«, rief der junge Mann, während er das Visier seines Integralhelms hochklappte. Es war Jūmonji.
»Ach, Sie! Haben Sie mich erschreckt!«
»Gut, dass ich Sie noch erwische!« Jūmonji stellte den Motor ab. Sofort hüllte Stille den Parkplatz ein. Sogar die Zikaden, denen das ungewohnte Motorengeräusch wohl Angst eingejagt hatte, blieben stumm. Mit geübter Fußbewegung klappte Jūmonji den Ständer der Maschine herunter, stieg ab und kam auf Masako zu.
»Was ist denn los?«
»Wir haben einen Auftrag.«
So schnell! Masako schlang sich die Arme um die Brust, um ihr wie wild klopfendes Herz zu beruhigen. Das Sweatshirt, das sie ein halbes Jahr nicht getragen hatte, verströmte die vertrauten Gerüche nach dem Schrank daheim und dem Waschpulver, das sie benutzte. Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, dass sie sich mit dem, was sie da vorhatte, letztlich auch aus der friedlichen Geborgenheit ihres Hauses katapultieren würde, und sie legte die Arme noch fester um sich.
»Sie meinen... einen Auftrag für unser Unternehmen?«
»Ja. Eben kam plötzlich ein Anruf, es hätte eine Leiche gegeben, und wir sollen sie spurlos beseitigen. Ich hab mich vielleicht beeilt! Ich dachte schon, ich würde Sie nicht mehr erwischen! Mir war zwar klar, dass ich Sie am besten hier vor der Schicht abpassen könnte, aber Frau Jōnouchi kennt doch meinen Wagen! Viel zu riskant, wenn sie mich hier mit Ihnen gesehen hätte!« Jūmonjis Stimme zitterte leicht vor Aufregung.
»Ach, deshalb sind Sie mit dem Motorrad da!«
»Ja, aber weil ich so lange nicht mehr damit gefahren bin, ist es nicht gleich angesprungen. Ich bin völlig fertig, das können Sie mir glauben!« Jūmonji setzte den Helm ab wie ein Schauspieler seine Perücke und strich sich das zerzauste Haar glatt.
»Was soll ich nun am besten tun?«
»Also, ich hole jetzt gleich mein Auto und nehme das Objekt in Empfang. Dann liefere ich es bei Ihnen ab. Um wie viel Uhr genau ist die Schicht zu Ende?«
»Um halb sechs. Kurz vor sechs bin ich wieder hier.«
»Und wann sind Sie ungefähr zu Hause?«
»Kurz nach sechs. Aber da ist meine Familie noch im Haus, Sie müssen also mit der Lieferung bis nach neun warten. Können Sie bis dahin die Kleidung und so weiter entfernen? Schaffen Sie das allein?«
»Als ob das eine Rolle spielte – ich werde ja wohl müssen, oder?«, erwiderte Jūmonji mit Grabesstimme.
»Können Sie das Objekt alleine tragen?«
»Ich werd’s versuchen. Ach, ja, das Skalpell-Set habe ich Ihnen besorgt, ich bringe es mit.«
»Ja, das ist gut.« Während sie an ihren Nägeln kaute, überlegte
Masako verzweifelt, welche anderen Dinge unbedingt noch abzusprechen waren. Aber ihr Kopf wollte nicht wie sonst funktionieren, weil alles so plötzlich gekommen war. Da fiel ihr endlich doch noch ein Punkt ein: »Und denken Sie an die Kartons für den Paketdienst!«
»Große, oder?«
»Ja, möglichst unauffällige, am besten gewöhnliche Gemüsekisten oder so. Aber sie müssen unbedingt stabil sein!«
»Okay, bis morgen Vormittag werde ich schon irgendwo etwas Geeignetes auftreiben.«
»Machen Sie das.«
»Haben Sie Müllbeutel?«
»Ja, auf Vorrat gekauft«, antwortete sie, und dann fiel ihr noch etwas Wichtiges ein: »Wie kann ich Sie erreichen, falls bis morgen früh etwas dazwischenkommen sollte?« Vielleicht ging Yoshiki nicht in die Firma. Vielleicht machte Nobuki blau. Man konnte nie wissen, es gab endlos viele Unwägbarkeiten.
»Was meinen Sie mit ›dazwischenkommen‹«, fragte Jūmonji hastig nach.
»Zum Beispiel, dass jemand von der Familie zu Hause bleibt, oder so etwas.«
»Ach so. Rufen Sie mich auf dem Handy an.« Jūmonji griff in die Gesäßtasche seiner Jeans, zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie Masako. Darauf stand seine Handy-Nummer.
»Gut. Falls etwas sein sollte, rufe ich Sie bis halb neun an.«
»In Ordnung. Also – auf gute Zusammenarbeit.« Jūmonji streckte ihr plötzlich die Hand zum Händedruck entgegen. Masako ergriff sie und drückte zu. Vom Fahrtwind war sie eiskalt und rau. Er hatte keine Handschuhe getragen.
»Na, dann will ich mal.« Jūmonji drehte den Zündschlüssel um und ließ das Motorrad an. Das tiefe,
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