Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
niemals solche Undercover-Maßnahmen einsetzen!
Der junge Mann, diese Frau Morisaki und die Frau mittleren Alters von vorhin – sollten sie alle unter einer Decke stecken, als Team? Wer könnte das sein, und wozu spionierte man sie aus? Plötzlich überfiel Masako eine heftige, nie gekannte Angst, und ein Schauder lief ihr kalt den Rücken herab. Ob sie Yoshië und Yayoi nicht besser Bescheid sagen sollte? Sie fasste den Entschluss, es vorläufig zu lassen, da sie noch keine genauen Anhaltspunkte besaß.
Als sie auf den Fabrikparkplatz auffuhr, sah sie, dass die kleine Hütte, die wohl ein Wachhäuschen sein sollte, bereits fertig aufgestellt war. Es saß noch niemand darin, der Raum hinter der Glasscheibe, kaum eine halbe Tatamimatte groß, war stockdunkel.
Masako stieg aus ihrem Corolla aus, und während sie noch bei
geöffneter Wagentür das Wachhäuschen inspizierte, bog Kies aufwirbelnd und mit quietschenden Reifen das Golf Cabriolet von Kuniko in den Parkplatz ein. Unwillkürlich trat Masako ein paar Schritte zur Seite. Kuniko würde sie vielleicht nicht gerade umfahren, aber ihre aggressive Fahrweise ließ auf eine Menge inneren Groll schließen.
Unbeholfen nach rechts und links schlingernd, parkte Kuniko rückwärts ein und zog mit Wucht die Handbremse, die überlaut krächzte. Dann grüßte sie Masako durch das geöffnete Verdeck: »Einen schönen Guten Morgen!« Übertrieben höflich und scheinheilig freundlich wie immer. Sie trug eine nagelneue rote Lederjacke, die sie sich vermutlich von Yayois Geld geleistet hatte.
»Ja, Morgen.« Sie hatte Kuniko schon lange nicht mehr hier auf dem Parkplatz getroffen. Seit sie nicht mehr aufeinander warteten, um zusammen zur Fabrik zu gehen, waren sie sich merkwürdigerweise kein einziges Mal zufällig hier begegnet. Wahrscheinlich hatte Kuniko es tunlichst vermieden, und wie zum Beweis dieser Mutmaßung verzog Kuniko bei Masakos Anblick gequält ihr Gesicht, als fluche sie innerlich.
»Du bist aber früh heute!«
»Kann schon sein.« Masako spähte durch die Dunkelheit auf ihre Armbanduhr: Sie war tatsächlich zehn Minuten früher als sonst.
»Weißt du, was das da ist?« Kuniko war aus dem Auto ausgestiegen und deutete, während sie das Verdeck zumachte, mit dem Kinn auf das Wachhäuschen.
»Wahrscheinlich haben sie einen Parkplatzwächter eingestellt.«
»Keinen gewöhnlichen Parkplatzwächter. Die Polizei hat mitbekommen, dass sich hier ein Grabscher herumtreibt, deshalb soll sich die Firmenleitung entschlossen haben, dort jemanden hineinzusetzen, der aufpasst.«
Ziemliche Geldverschwendung, dachte Masako, aber da in letzter Zeit auch das widerrechtliche Parken auf solchen frei zugänglichen Plätzen zugenommen hatte, rechneten sie sich wohl aus, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können.
»Ach, wie jammerschade für dich – dann hast du ja gar keine Chance mehr, dem Grabscher zu begegnen!«
»Wie meinst du das?« Auf Masakos eindeutig sarkastische Bemerkung
hin sog Kuniko die Wangen ein und spitzte die rot bemalten Lippen. Sie war komplett geschminkt, so als führe sie zum Shopping in die Innenstadt. Kaltherzig betrachtete Masako Kunikos affektierte Aufmachung, mit der sie ihre ganze innere Verkommenheit erst recht zur Schau stellte.
»Wie ich sehe«, begann Masako mit Blick auf Kunikos blank polierten Golf, »fährst du immer noch Auto. Warum kommst du nicht mit dem Rad, das wäre entschieden billiger!«
»Wir sehen uns bei der Schicht!« Kuniko stapfte beleidigt davon. Das Weib ist es nicht wert, dass man ihm hinterhersieht, dachte Masako und wandte sich ab, wobei sie sich über die fröstelnden nackten Arme strich. Für Anfang Oktober war es ziemlich kalt heute Nacht. Bei kühlem, trockenen Wetter konnte man die verschiedenen Gerüche, die in der Luft hingen, genau auseinander halten: der Geruch nach Frittiertem, der Gestank der Autoabgase, der Duft der goldenen Blüten der Osmanthus- Sträucher und der Geruch von abgekühltem Wiesengras. Irgendwo in der Nähe zirpten verhalten die letzten Zikaden des Sommers.
Masako nahm das Sweatshirt von der Rückbank ihres Wagens und zog es über ihr T-Shirt. Dann zündete sie sich, wie es ihre Gewohnheit war, eine Zigarette an und wartete ab, bis Kunikos roter Rücken vollständig von der Dunkelheit verschluckt worden war.
Da nahm sie das tiefe Brummen eines Motors wahr und sah, wie ein schweres Motorrad auf den Parkplatz auffuhr. Sie hörte, wie das Hinterrad auf dem Schotter kurz
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