Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Masako schon das x-te Mal seit dem frühen Morgen.
Wie verabredet erschien Jūmonji kurz nach neun bei ihr vor der Haustür. Mit bleichem Gesicht trug er die in eine Decke gewickelte Leiche ins Bad. Yoshië war noch nicht da.
»Mein Gott, hab ich Angst gehabt«, sagte er und rieb sich die Wangen, die starr vor Kälte zu sein schienen, als käme er direkt vom Nordpol. Dabei war es ein relativ warmer Tag für Oktober.
»Wovor?«, fragte Masako, während sie den Fliesenboden im Bad mit der blauen Plastikdecke ausschlug, die sie auch bei Kenji verwendet hatte.
»Wovor – Sie sind gut, Frau Katori! Das ist die erste Leiche, die ich in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe. Und es war so viel Zeit zu überbrücken, bis ich damit herkommen konnte! Da hab ich mir keinen anderen Rat gewusst, als sie im Kofferraum zu verstauen und mich in ein Denny’s Restaurant zu setzen, das durchgehend geöffnet hat, um die Stunden totzuschlagen. Danach bin ich damit durch Roppongi gefahren, immer im Kreis herum.«
»Das war riskant, stellen Sie sich vor, Sie wären in eine Verkehrskontrolle geraten!«
»Ja, vom Verstand her war mir das auch klar, aber ich wollte unbedingt dorthin, wo Leute sind, immer nur dorthin, wo Leute sind. Die Ladung im Kofferraum kam mir wie eine finstere Masse vor, die ich nicht anschauen darf, dabei weiß ich ja, dass mit mir dasselbe passiert, wenn ich tot bin, aber ich wollte einfach nicht hinsehen, und mein Rücken fühlte sich tonnenschwer an, so als würde mich eine enorme Kraft rückwärts ziehen... Ich wusste genau, dass es eine Menge zu tun gab, dass ich ihn hätte ausziehen sollen und so weiter, aber ich konnte es einfach nicht, nicht allein. Bevor es hell wurde, war ich ja nicht einmal fähig, ihn anzuschauen! Ich fürchte, ich bin ein ziemlich erbärmliches Würstchen, was?«
Verstehen konnte sie ihn schon. Masako studierte Jūmonjis aschfahles Gesicht. Grund für seine ungewöhnliche Blässe war sicher nicht allein der Schlafmangel. Leichen veranlassten die Lebenden im Allgemeinen dazu wegzuschauen. Wie viel Zeit man wohl brauchte, bis man so weit war, sie als natürlich betrachten zu können?
»Wo haben Sie ihn abgeholt?« Masako berührte die gekrümmten Finger des toten Mannes. Sie waren steif und kalt.
»Danach sollten Sie lieber nicht fragen«, erwiderte Jūmonji bestimmt. »Besser, Sie wissen nichts davon. Es wäre zu riskant, falls etwas passiert.«
»Was denn zum Beispiel?«, fragte sie, während sie sich wieder erhob.
»Das weiß ich auch nicht. Falls irgendetwas schief geht eben.« Scheu betrachtete Jūmonji das Gesicht der Leiche, das aus der umgeschlagenen Decke herausschaute.
»Wenn die Polizei uns auf die Schliche kommt, meinen Sie?«
»Nicht nur das.«
»Sondern?«
»Rache und so weiter.«
Masako hatte die mysteriöse dritte Partei gemeint, doch Jūmonji schien von handfesten Interessenskonflikten zu sprechen, die so ein Mord nach sich ziehen konnte.
»Weshalb ist er umgebracht worden?«
»Wahrscheinlich, um an sein Geld zu kommen. Man will es offenbar so aussehen lassen, als sei er verschollen, deshalb soll die Leiche ja auch spurlos entsorgt werden.«
Wenn das stimmte, war dieser Tote vielleicht mehrere hundert Millionen Yen schwer. Masako betrachtete seine Glatze, die jeden Glanz verloren hatte.
Wenn einen nichts Persönliches mit dem Toten verband, war die Entsorgung einer Leiche nichts viel anderes als geschickte Abfallbeseitigung. Im Leben entstand unweigerlich Müll. Wer was warum wegzuwerfen versuchte, brauchte sie nichts anzugehen. Unabdingbar für solch eine Haltung war natürlich die Einsicht, dass man selbst auch irgendwann wie Müll weggeworfen werden würde. Kühl befahl Masako: »Helfen Sie mir, ihn auszuziehen!«
»Ja.«
Masako schnitt dem Toten mit der Schere den Anzug auf und begann, ihn mit geschickten Handgriffen zu entkleiden. Beklommen füllte Jūmonji die Sachen in eine Plastiktüte.
»Was ist mit seinem Portemonnaie und so weiter?«
»Gab es nicht. Sie haben ihm alles weggenommen, was wegzunehmen war. Das hier ist der Rest, der von ihm übrig geblieben ist.«
»Nur noch Müll also«, murmelte Masako, um es selbst zu hören.
Jūmonji schienen die Worte schockiert zu haben: »Ob man das so einfach sagen kann...?«
»Kann man. Man muss es als Abfallbeseitigung betrachten.«
»Aha.«
»Wie bekomme ich meinen Lohn?«
»Ich habe Ihr Geld schon bei mir.« Jūmonji zog eine kleine braune Papiertüte, in der ebenso gut ein Stück
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