Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Morisaki der Anlass für den Streit gewesen war und dass sie sie in Schutz genommen hatte.
»Mit wem denn?«
»Mit der Frau, die öfter hier anruft, Masako heißt sie, Sie haben vielleicht schon mit ihr gesprochen.«
»Ach, die, die immer ein wenig schroff und abweisend klingt? Wieso denn, was hat sie zu Ihnen gesagt?«, fragte Frau Morisaki aufgebracht, so als hätte sie selbst sich mit Masako gestritten.
»Nichts Besonderes. Es war nur eine Bagatelle«, antwortete Yayoi ausweichend und band sich die Schürze um, um das Frühstück zu machen.
Mit leiser Stimme fragte Frau Morisaki: »Wieso sind Sie eigentlich immer so unterwürfig, wenn diese Frau anruft?«
»Was?« Erstaunt drehte Yayoi sich zu ihr um. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Nutzt sie vielleicht eine Schwäche von Ihnen aus?« Frau Morisakis Augen klebten förmlich an ihr, als wolle sie sie ausspionieren. Genau wie die Blicke der Nachbarn, schoss es Yayoi durch den Kopf, aber sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Nein, Frau Morisaki würde so etwas bestimmt nicht tun!
6
Das weiche Nachmittagslicht der Herbstsonne fiel auf die Bündel Banknoten, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
Die beiden Stapel Zehntausend-Yen-Scheine, so druckfrisch, dass man sich noch daran schneiden konnte, wirkten so wenig real wie die Scherzartikel, die als Briefbeschwerer verkauft wurden. Und doch war die Geldsumme, die da vor ihr lag, weitaus höher als das, was sie in einem Jahr in der Lunchpaket-Fabrik verdienen konnte. Und auch ihr Jahresgehalt bei der Spar- und Darlehenskasse hatte kaum mehr als das Doppelte davon betragen. Masako saß vor den zwei Millionen Yen, die sie von Yayoi bekommen
hatte, und grübelte über ihr bisheriges Arbeitsleben und das zukünftige »Unternehmen« nach.
Bald wanderten ihre Gedanken zu dem Problem, wo sie das Geld verstecken konnte. Ob sie es auf ein Sparbuch bei der Bank einzahlen sollte? Doch dann käme sie erstens schlecht heran, falls etwas passierte, und zweitens wäre es ein Beweismittel gegen sie. Aber sie konnte es auch nicht einfach im Schrank liegen lassen, die Gefahr, dass jemand von der Familie es fände, wäre zu groß.
Während sie noch hin- und herüberlegte, klingelte es an der Haustür. Masako stopfte das Geld hastig in die Schublade neben der Spüle.
»Ja, also, dürfte ich Sie vielleicht einen Moment stören?«, klang die zögerliche Stimme einer Frau aus der Gegensprechanlage.
»Worum geht es denn?«
»Ich bin an dem Grundstück gegenüber interessiert, wir überlegen uns, es zu kaufen.«
Widerwillig ging Masako zur Tür und machte auf. Davor stand schüchtern eine Frau mittleren Alters, in einem geschmacklosen, fliederfarbenen Kostüm. Vom Gesicht her wirkte sie kaum älter als Masako selbst, aber ihre Figur war völlig aus der Fasson geraten. Auch ihre Stimme klang hysterisch und schrill, so als hätte sie es nie für nötig gehalten, Mäßigung zu üben.
»Verzeihen Sie bitte die plötzliche Störung.«
»Ist schon in Ordnung.«
»Ja, also, ich, wir überlegen uns, das Grundstück gegenüber zu kaufen«, wiederholte die Frau. Sie meinte das schon so lange brachliegende Stück Bauland genau gegenüber von Masakos Haus, auf der anderen Seite der fünf Meter breiten Privatstraße. Es hatte schon etliche Interessenten dafür gegeben, aber sie waren immer kurz vor Vertragsabschluss abgesprungen.
»Und was führt Sie daher zu mir?«, erwiderte Masako geschäftsmäßig reserviert, worauf die Frau offenbar nicht wusste, was sie sagen sollte.
»Nun ja, also, Folgendes: Wir wundern uns darüber, warum einzig und allein dieses Grundstück noch nicht verkauft wurde, und ob nicht vielleicht etwas faul ist damit...«
»Tja, darüber ist mir nichts bekannt.«
»Hat es vielleicht irgendwelche Probleme gegeben? Es ist
immer ungünstig, wenn man von solchen Dingen erst im Nachhinein erfährt, wissen Sie...«
»Ja, das verstehe ich, aber ich weiß nichts darüber. Fragen Sie doch den Immobilienmakler.«
»Das haben wir ja schon getan, aber er verrät uns nichts.«
»Tja, dann ist da wahrscheinlich auch nichts«, ließ Masako sie mitleidlos ins Leere laufen, und die Frau flüchtete sich in Rechtfertigungen.
»Aber mein Mann sagt, dass roter Lehm schlecht ist und dass es wahrscheinlich daran liegt.« Als sie Masakos Gesicht sah, fügte die Frau hastig hinzu: »Er meint wohl, dass sich die rote Erde nicht so gut als Bauuntergrund eignet.«
Masako legte den Kopf schief, denn davon hatte sie ja noch nie gehört. »Wir
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