Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
eine Weile böse an, wandte aber dann den Blick von ihr ab und verließ den Umkleideraum. Ihr gesamter Körper schien vor Wut zu beben.
7
Bei der Leiche handelte es sich um einen kleinen, hageren Mann um die sechzig.
Er hatte eine Glatze, aber noch alle Zähne, und Operationsnarben im mittleren Brustbereich und auf der rechten Seite des Unterbauchs. Im Vergleich zu der großen Brustnarbe war die am Unterbauch klein und auf den ersten Blick als Blinddarmnarbe zu erkennen. Man hatte ihn offenbar mit bloßen Händen erwürgt; sein Gesicht war violett angelaufen, und am Hals waren Fingermale zu sehen. Er schien sich gewehrt zu haben, denn an den Wangen und beiden Armen fanden sich etliche Schürfwunden.
Sie wussten weder, was er von Beruf gewesen war, noch wo, von wem und warum er ermordet worden war. Aller Kleidung entledigt, war er nur noch eine Leiche, die schwer erkennen ließ, wie er lebendig ausgesehen und was für ein Leben er geführt hatte. Aber das war auch gar nicht nötig. Masako und Yoshië hatten ihn lediglich zu zerstückeln und in Plastiktüten abzupacken, die sie in Kartons füllten und zu Paketen schnürten. Der Arbeit in der Lunchpaket-Fabrik gar nicht so unähnlich, solange man nur die Angst und das Grauen betäubte.
Yoshië hatte sich die Jersey-Hose bis zu den Oberschenkeln hochgekrempelt, Masako trug Shorts und T-Shirt, und beide hatten sich aus der Fabrik entwendete Vinyl-Schürzen umgebunden und Wegwerfhandschuhe angezogen. Barfuß war diese Arbeit zu gefährlich, da man in Knochensplitter treten konnte, deshalb trug Masako Yoshikis Gummistiefel und hatte Yoshië ihre eigenen geliehen. Auch die Arbeitskleidung war der in der Fabrik nicht unähnlich.
»So ein Skalpell schneidet wunderbar, nicht wahr?«, verkündete Yoshië tief beeindruckt. Das chirurgische Set, das Jūmonji ihnen besorgt hatte, tat wirklich gute Dienste. Ein Skalpell lag ganz anders in der Hand als das Sashimi-Messer, mit dem sie Kenji zerlegt hatten; das Fleischschneiden bekam dadurch etwas Erquickliches, wie wenn man neuen Stoff mit einer scharfen Schere durchtrennt. Dank der Skalpelle kamen sie schneller voran als erwartet.
Die Knochen zerteilten sie abwechselnd mit der Säge. Zu ihrem Leidwesen hatten sie feststellen müssen, dass die Elektrosäge,
die Jūmonji ihnen noch mitgebracht hatte, nicht zu gebrauchen war. Denn sie wirbelte Blut-, Fleisch und Knochenpartikel zu feinem Nebel auf, der ihnen in die Augen drang. Um die Elektrosäge effektiv nutzen zu können, wären Taucherbrillen nötig gewesen.
Mit fortschreitender Zerlegung der Leiche war bald wieder alles um sie herum voller Blut, die Eingeweide verströmten einen abstoßenden Geruch, und der Anblick, wie sie ausgebreitet vor ihnen lagen, war derselbe wie zuvor bei Kenji, aber vom Gefühl her fiel ihnen die Arbeit diesmal ungleich leichter, da sie ihnen wie Schichtarbeit in der Fabrik vorkam.
»Die Narbe hier ist wahrscheinlich von einer Herzoperation, meinst du nicht? Wie schade, er tut mir so Leid! Da hat er sich extra so einer schweren Operation unterzogen, um mit dem Leben davonzukommen, und dann wird er umgebracht!« Yoshië, die Augen rot vor Übermüdung, zog mit der gummiüberzogenen Fingerspitze die blasslila Operationsnarbe nach, die sich wie ein Regenwurm über die Brust des toten Mannes schlängelte.
Masako fuhr schweigend fort, die abgetrennten Gliedmaßen zu zerstückeln. Im Unterschied zu den Beinen von Kenji, der in der Blüte seiner Jahre gestanden hatte, besaßen die des Mannes kaum Fett, und die Haut war glanzlos und welk. Es mochte Einbildung sein, aber auch das Gefühl, wenn man die Säge hindurchzog, war, als zerteilte man eine poröse, holzige Masse.
»Das geht diesmal viel bequemer, weil sich das Fett nicht so ins Sägeblatt setzt, wie bei Kenji-san. Die Müllbeutel sind auch ganz leicht«, sagte Yoshië wie zu sich selbst, während ihre Hand die Säge hin- und herführte.
»Er wiegt ja auch kaum fünfzig Kilo.«
»Ja. Aber er war bestimmt ein reicher Mann«, stellte Yoshië im Brustton der Überzeugung fest.
»Woher willst du das wissen?«
»Na, weil der Finger hier so stark eingedrückt ist. Da muss er einen großen Ring getragen haben. Bestimmt einen schweren Siegelring aus Gold, mit einem dicken Klunker drin, womöglich ein Diamant. Wahrscheinlich haben sie ihm den abgezogen.«
»Du fantasierst dir wieder Geschichten zurecht!«, sagte Masako mit gequältem Lächeln.
Ob sie das nicht doch nur alles träumte, dachte
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