Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
zeitungslesenden Angestellten. »Das kann ich Ihnen mit Worten gar nicht beschreiben.«
Dann komm doch zur Fabrik und identifizier ihn für mich, hätte Masako am liebsten gesagt. Jūmonji schien so etwas zu fürchten wie die Pest, denn er blickte beharrlich zur Seite.
»Das Objekt habe ich jedenfalls entsorgt.« Jūmonji hing zusammengesunken auf dem Vinyl-Sofa, allem Anschein nach erschöpft bis ins Mark. Die Kellnerin hatte die riesige Speisekarte vorbeigebracht, doch er warf nicht einmal einen Blick darauf. »Aber eins muss ich sagen, so ein dickes Weib ist ganz schön schwer!« Als säße ihm das Gewicht jetzt noch in den Knochen, ließ Jūmonji die Schultern kreisen, wie um die Verspannung zu lösen. »Der Opa vom letzten Mal war ja leicht, aber diesmal... sie hat mindestens das Doppelte gewogen, was meinen Sie?«
Kuniko hatte sage und schreibe dreizehn Versandpakete gefüllt. Es war sicher Knochenarbeit gewesen, bis nach Fukuoka zu fahren, sie dort alle in Empfang zu nehmen, ins Auto zu laden und dann in die Verbrennungsanlage zu werfen. Anstatt zu antworten, zog Masako die Brauen zusammen und ließ ihren Blick unwillkürlich über den Restaurantparkplatz schweifen. Plötzlich verspürte sie den Drang nachzusehen, ob der grüne Golf nicht dort irgendwo stand.
»Wollen Sie nicht fliehen, Frau Katori? Haben Sie etwa immer noch vor, weiter zur Fabrik zu gehen?« Jūmonji sah Masako an.
»Vorerst ja.«
»Lassen Sie das doch, kündigen Sie!« Seine Augen blickten verständnislos. »Sie haben jetzt acht Millionen zusammen, Frau Katori – oder sind es sieben? Jedenfalls genug. Ich will ja nichts sagen, aber das dürfte mehr sein, als Sie mit der Schufterei in dieser Fabrik in fünf Jahren verdienen können, schätze ich. Reicht das denn nicht?«
Masako antwortete nicht und trank einen Schluck Wasser. Sie wusste, dass Satake sie überall aufspüren würde, wohin sie auch floh.
»Ich verschwinde jedenfalls noch heute, das können Sie mir glauben!« Die Kellnerin kam, um Jūmonjis Bestellung aufzunehmen, und er orderte ein Hamburger-Menü.
»Wo wollen Sie denn hin?«
»Wenn’s irgend geht, werde ich bei Soga-san untertauchen, aber mit dem ist auch nicht gerade zu spaßen.« Jūmonji nannte einen Namen, den Masako nicht kannte. »Na ja, am besten wäre natürlich Shibuya oder so, wo es viele hübsche Frauen gibt. Ich schätze mal, nach einem Jahr wird Gras über die Sache gewachsen sein, bis
dahin sollte der Kerl sich doch beruhigt haben, was meinen Sie? Schließlich habe ich ja im Grunde gar nichts mit dem Fall Yamamoto zu tun.« Jūmonji verriet sein wahres Gesicht. An seiner grenzenlosen Zuversicht erkannte sie seine Jugend. Die Entscheidungen aber, die Masako getroffen hatte, waren alle nicht wieder rückgängig zu machen. Und sie wollte auch gar nicht zurück.
»Tja, ich muss dann mal los.« Masako legte das Geld für ihren Kaffee auf den Tisch und zeigte auf Jūmonjis Handy, das verlassen auf der Ecke des Tisches lag wie ein nutzloses, lästiges Ding. »Brauchen Sie das noch?«
»Nein. Müsste sowieso erst die Nummer ändern lassen.«
»Wenn das so ist – kann ich es haben?«
»Wie Sie wollen. Aber es wird nicht mehr lange funktionieren.«
»Das ist auch nicht nötig. Ich will mir nur mal die Stimme von dem Kerl anhören.«
»Bitte, es gehört Ihnen.« Jūmonji drückte ihr das Handy in die Hand.
Sie steckte es in ihre Handtasche. »Tja – dann will ich mal.«
»Passen Sie auf sich auf, Frau Katori!«
»Ja, Sie auch!«
»Wenn wir beide heil aus der Sache herauskommen, können wir ja mal wieder Geschäfte zusammen machen!« Jūmonji hob sein Wasserglas und prostete ihr zu, bekam aber sofort wieder ein ernstes Gesicht.
Zu Hause war niemand mehr.
Yoshiki hatte seine halb ausgetrunkene Tasse Kaffee stehen lassen, an deren Rand die heruntergelaufenen Tropfen angetrocknet waren. Masako schüttete den Kaffee in die Spüle und machte sich mit der Spülbürste daran, den Tassenrand zu säubern. Auf einmal merkte sie, wie sie so heftig scheuerte, dass sie das Porzellan zu zerkratzen drohte. Wie lange würde sie noch in diesem Haus bleiben können? Masako drehte den Wasserhahn zu und ließ die Schultern sinken. Nur noch ein kleines bisschen Zeit, und sie würde einen Ausweg für sich entdeckt haben, bestimmt, aber nun war dieser Satake schon drauf und dran, sie in den Abgrund zu zerren.
Yoshië hatte an jenem Taifunmorgen, als sie sie dazu überreden wollte, mit ihr und Jūmonji in
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