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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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allein auf sie abgesehen hatte, und sann über den Grund dafür nach.
     
    Als sie morgens um halb sechs von der Arbeit erlöst wurde, zog Masako sich rasch um und verließ die Fabrik. Draußen war es noch dunkel. Das Schlimme an der Nachtschicht im Winter war, dass sie einen in der Nacht gefangen hielt. Die Arbeit fing in tiefster Dunkelheit an und hörte auf, wenn es noch nicht wieder hell geworden war.
    Masako eilte im Laufschritt zum Parkplatz. Der Golf war nicht mehr da. Wer war wann damit weggefahren? Sie blieb mitten auf
dem noch finsteren Parkplatz stehen. Wahrscheinlich hatte dieser Satake vor ihrem Corolla gestanden, die Türen ausprobiert, hineingespäht, Masakos Entsetzen nachgespürt wie einem Zittern in der Luft und gelacht. Bei dieser Vorstellung wallte Zorn in ihr auf. Sie wollte sich nicht verhöhnen lassen. Sie wollte sich nicht umbringen lassen wie Kuniko.
    Endlich schluckte Masako die Angst. Sie schluckte sie ganz herunter, wie bittere Medizin, ohne davon zu kosten, und jagte Kunikos Tod, Satakes Existenz, all die Realitäten, die sie nicht hatte wahrhaben wollen und die ihr im Hals stecken geblieben waren, gleich hinterher. Dann schloss sie die Autotür auf, stieg in den kalten Wagen ein und ließ den Motor an. Am östlichen Himmel waren endlich die ersten grauen Streifen der Morgendämmerung zu sehen.
     
    Mit übernächtigtem Gesicht starrte Masako auf den schwarzen Bodensatz in ihrer Kaffeetasse.
    Sie wusste sonst nichts mehr mit sich anzufangen. Sie hatte schon zu viele Zigaretten geraucht und zu viele Tassen Kaffee getrunken. Die Kellnerin zog bereits ein mürrisches Gesicht und näherte sich ihrem Tisch erst gar nicht mehr, da Masako außer Kaffee nichts bestellt hatte.
    Sie saß in dem von ihr vorgeschlagenen Denny’s und wartete auf Jūmonji. Nach sieben Uhr füllte sich das Restaurant mit Angestellten, die Frühstück orderten. Der Geruch von Pfannkuchen und Rührei mit Schinken lag in der Luft, und alles strotzte vor Geschäftigkeit und morgendlichem Tatendrang. Jūmonji war mehr als eine Stunde überfällig.
    Vielleicht hatte er sich ja längst aus dem Staub gemacht. Doch als sie schon fast davon überzeugt war, kam Jūmonji zur Tür herein.
    »Entschuldigen Sie, dass ich so spät bin.« Er trug eine schmuddelige, beige Wildlederjacke über einem schwarzen Pullover. Es war, als spiegele der angegriffene Zustand der Lederjacke seine Seelenlage wider.
    »Ich hab mir schon Sorgen gemacht!«
    »Ich kann kaum noch schlafen, und da hab ich ausgerechnet heute verschlafen.«
    Masako blickte zu Jūmonji auf, in sein Gesicht, das ausgemergelt aussah wie ihr eigenes.

    »Sie sind nicht zufällig doch noch auf dem Fabrikparkplatz gewesen?«
    »Nein, tut mir Leid. Ich konnte einfach nicht, solchen Schiss hab ich«, entschuldigte sich Jūmonji ehrlich, holte seine Zigaretten aus der Jackentasche, steckte sich eine in den Mund und machte ein banges Gesicht.
    »Schiss hab ich auch«, murmelte Masako, aber Jūmonji schien es gar nicht mitzubekommen. Er schwieg. So saßen sie beide wortlos da, schauten durch das große, bis zum Boden reichende Klarglasfenster nach draußen und sahen zu, wie ein friedlicher Frühwintertag anbrach. Die hilflos dünnen Birken, die rund um das Restaurantgebäude gepflanzt waren, leuchteten in der Morgensonne.
    »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen so wenig von Nutzen bin«, entschuldigte Jūmonji sich zum wievielten Mal und runzelte die Stirn. Sein jugendliches Fernsehstar-Gesicht verwandelte sich augenblicklich in eine gequälte, hässliche Fratze.
    »Schon gut. Es kommt eh, wie es kommen muss.«
    »Aber ich will nicht ermordet werden! Scheiße«, klagte Jūmonji weinerlich und schob sein Handy weit von sich an den Rand des Tisches, als sei es ihm widerwärtig. »Ich erschreck mich jedes Mal zu Tode, wenn wieder so ein Anruf kommt, obwohl ich weiß, dass es dieser Kerl ist. Es hat mir gereicht, ihm ein Mal begegnet zu sein, wirklich, so furchtbar unheimlich war das!«
    »Er ruft Sie doch bloß an, weil Sie ihn gesehen haben. Reine Drohgebärde!«
    »Na, ich weiß nicht...«
    »Wie er nur aussehen mag...?«, dachte Masako laut nach. Ach, hätten sich die Gestalt des Mannes, den Jūmonji gesehen hatte, und das Gesicht, in das Kuniko geblickt hatte, bevor sie starb, doch auch in ihre eigene Netzhaut eingebrannt!
    »Wie er aussieht, wollen Sie wissen?« Jūmonji schaute sich um, als wolle er sichergehen, dass Satake auch nicht hinter ihm saß. Das Lokal war voll mit

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