Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
ihn töten, oder würde sie getötet werden? »Weil du ein unverschämtes Weib bist«, hörte sie Satake wieder sagen. Heftiger Zorn stieg in ihr auf, und unmissverständlich wurde ihr klar, dass sie sich längst im erbitterten Zweikampf mit Satake befand.
Sie fuhr den gewohnten Weg zurück zur Fabrik. Der Parkplatz war schon fast voll mit den Autos der Arbeiter der Tagesschicht. Sie sah auf die Uhr: halb neun. Schichtbeginn war um neun, das hieß, es würden mit Sicherheit noch mehr Wagen mit Leuten kommen, die zur Arbeit wollten. Masako setzte in den Weg hinein, der zur stillgelegten Fabrik führte, stellte ihren Corolla dort am Rand ab und ging dann zum Wachhäuschen zurück. Satō war schon von einem älteren Mann mit Lesebrille abgelöst worden, der in dem kaum eine halbe Matte großen Häuschen saß und seine klein gefaltete Tageszeitung so hielt, als wolle er sie ablecken.
»Guten Morgen!«, grüßte sie ihn unmittelbar ins Ohr, aber der Wachmann erwiderte nichts, sondern sah ihr nur in die vor Übernächtigung rot unterlaufenen Augen und in das leichenblasse, blutleere Gesicht. »Ich bin von der Frühschicht. Könnten Sie mir bitte die Adresse von Herrn Satō geben, der hier ab sieben Uhr abends arbeitet?« Masako kam direkt zum Punkt.
»Ach ja, Herr Satō von der Nachtschicht. Ich kenne ihn gar nicht persönlich, da ich immer nur bis sechs hier bin. Fragen Sie doch lieber im Büro nach!«
»Aber er ist doch von einer Zeitarbeitsfirma, nicht wahr? Ob man mir da in der Fabrikverwaltung weiterhelfen kann...?«
»Verstehe, aber ich habe auch nichts mit ihm zu tun, ich bin von einer anderen Firma. Hier, rufen Sie doch da an.« Der Mann hielt ihr ohne Vorbehalt eine Visitenkarte für Werbezwecke hin: Yamato Wachdienst & Gebäudesicherung stand da.
Masako steckte sie in die Tasche ihrer Jeans. »Vielen Dank!«
»Wieso wollen Sie denn die Adresse von Herrn Satō überhaupt wissen?«, fragte der ältere Mann mit verschmitztem Lächeln.
Masako antwortete ernst: »Weil ich mich mit ihm verabreden möchte.«
»O-ho«, brummte der Mann und schaute Masako bedeutungsvoll an. Ihr Gesicht musste völlig verbissen wirken und konnte unmöglich mit romantischen Gefühlen in Verbindung gebracht werden, davon war sie überzeugt. Doch für diesen Mann schien das der Ausdruck von Verliebtheit zu sein.
»Na, so was, ich beneide euch jungen Leute!«
Über das Wörtchen »jung« musste Masako müde lächeln. Dann fasste sie vorsichtshalber noch einmal nach: »Meinen Sie denn, dass man mir bei der Firma auch tatsächlich Auskunft geben wird?«
»Das werden Sie dann ja sehen.« Der Mann widmete sich wieder seiner Zeitung.
Mit Jūmonjis Handy rief Masako vom Auto aus gleich dort an: »Hallo, ist da die Firma Yamato Wachdienst und Gebäudesicherung?«
»Ja, da sind Sie richtig«, kam eine gemächliche, ältere Stimme zurück.
»Mein Name ist Kuniko Jōnouchi. Ich arbeite in der Miki Foods Lunchpaket-Fabrik. Herr Satō von der Nachtschicht auf dem Parkplatz hat etwas wieder gefunden, das ich verloren hatte, und nun möchte ich mich gern erkenntlich zeigen und ihm ein kleines Dankeschön zusenden...«
»Ah, ja...?«
»Könnten Sie mir seinen vollen Namen und seine Adresse geben?«
»Die Adresse hier oder seine Privatadresse?«
»Die Privatadresse, wenn’s geht.«
»Einen Moment bitte.«
Das schienen ja geruhsame Pöstchen zu sein in dieser Firma, wahrscheinlich zum großen Teil mit Rentnern besetzt. Bei dem Sicherheitspersonal des Geldtransporter-Dienstes, der damals für die Spar- und Darlehenskasse gearbeitet hatte, wäre ein solches Verhalten undenkbar gewesen.
»Also: Satō, Yoshio. Kodaira-City, Wohnkomplex Kodaira, Block T, Nummer 412.«
»Ich danke Ihnen.« Masako legte auf und stellte sofort die Heizung höher, denn ihr fröstelte. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass Satake in derselben Mietskaserne wohnte wie Kuniko. Er hatte ihr nach einem schlau und mit großem Zeitaufwand eingefädelten Plan eine Falle gestellt. Angesichts dieser akribischen Umsicht Satakes erschrak Masako. Ehe sie sich’s versahen, würden sie ihm alle ins Netz gehen, wie geschickt in die Enge getriebene Fische. Nach Kuniko war nun sie selbst an der Reihe. Die Heizungsluft trieb Masako den Schweiß auf die Stirn. Er war erstaunlich kalt, als sie mit der Hand daran fasste.
Besorgt dachte sie an Yayoi, von der sie sich vor ein paar Wochen im Streit getrennt hatte. Ob sie ihr etwas verschwieg? Sie wählte Yayois
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